Reformationsjubiläum 2017

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    Visionen für eine Kirche mit Geflüchteten

    Rita DeschnerFlüchtlingspfarrerin Dorothea Schulz-Ngomane und Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHNFlüchtlingspfarrerin Dorothea Schulz-Ngomane und Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN, diskutieren auf dem Kirchentag - beide zeigen große Anerkennung für die Flüchtlingsarbeit in den Kirchengemeinden

    Neuzugezogene und Alteingesessene: Das war schon immer ein spezielles Verhältnis. Noch interessanter wird es, wenn die Neuzugezogenen nicht sächsisch oder saarländisch sprechen, sondern arabisch. Anerkennung für das gute Miteinander hat nun Kirchenpräsident Jung auf dem Kirchentag gezollt - und neue Impulse gesetzt.

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    Musik Flüchtlingspfarrerin Dorothea Schulz-Ngomane Willkommensbotschaft in Halle 7.2 Das Publikum hört zu, was die Geistlichen zur Flüchtlingsarbeit sagen

    „Die Kirche hat sich schon verändert, das haben wir nach der Ankunft der Flüchtlinge erlebt. Viele Kirchengemeinden haben sich auf den Weg gemacht und sich der Menschen angenommen, die Hilfe gesucht haben“, sagte Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN, auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin. Am Samstag, 20. Mai 2017, hatte er mit der Berliner Flüchtlingspfarrerin Dorothea Schulz-Ngomane auf dem Podium zum Thema „Visionen für eine Kirche mit Geflüchteten“ gesessen. Flüchtlingspfarrer Bernhard Fricke hatte das Gespräch auf dem Messegelände moderiert. 

    Durch Flüchtlingsarbeit neuen Zugang zur Kirche gefunden

    Dabei wies Kirchenpräsident Jung darauf hin: „Engagierte Christinnen und Christen haben gespürt: Hier ist unser Christsein gefragt, hier sind wir im Kern gefragt.“ Denn wer sich der Not von Menschen verweigere, verweigere sich auch der Begegnung mit Christus. „Auch Menschen, die bis dahin der Kirche nur lose verbunden waren, haben über ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe neuen Zugang zur Kirche gefunden. Dabei geschieht Veränderung in der Kirche.“
    Was das Formulieren großer Visionen anging, zeigte sich der Kirchenpräsident allerdings vorsichtig: „Ich bin zurückhaltend bei großen Visionen. Ich schaue lieber nach konkreten Anforderungen, die anstehen.“ Und was steht gegenwärtig für den Kirchenpräsidenten an? Volker Jung setzte einen Impuls: „Wir haben eine starke, professionalisierte Diakonie. Aber wir haben unser diakonisches Herz damit auch outgesourct. Unsere Sorge sollte verstärkt den wirklich Schwachen in der Gemeinde gehören.“

    Geduld und Erfahrungsaustausch angeregt

    Die Berliner Flüchtlingspfarrerin pflichtete dem Eindruck des Kirchenpräsidenten bei: „Kirche ist wieder bereit, in der Not zu reagieren.“ Sie plädierte dafür, geduldiger zu werden hinsichtlich der Integration von Flüchtlingen: „Es braucht ein bisschen Zeit, um mit der neuen Freiheit umgehen zu lernen. Ich bin selbst in der DDR groß geworden und habe eine Weile benötigt, um mitdiskutieren zu können.“ Wenn Betroffene über verhärtete und eingefahrene Strukturen schimpften, sollten Sie zum Mitmachen und Verändern eingeladen werden. Zudem wies die Flüchtlingspfarrerin auf den Erfahrungsschatz der Migrantinnen und Migranten hin: „Viele Geflüchtete haben die Erfahrung gemacht, dass in Familien Angehörige unterschiedlicher Konfessionen und Kulturen zusammen leben. Davon könnten wir auch lernen.“ 

    Fair in den Dialog einsteigen

    Dorothea Schulz-Ngomane berichtete, dass sie in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen auch wahrnehme, dass viele eine Krise mit ihrer Religion erlebten. Was nicht bedeute, dass sie ihre Religion aufgeben möchten, sich aber verständnisvolle Gesprächspartner wünschten. Im Hinblick auf den Dialog mit muslimischen Gesprächspartnern empfahl Kirchenpräsident Jung, einander offen und wertschätzend zu begegnen: „Eine gute Voraussetzung ist, sich für die andere Religion zu interessieren.“ Weniger hilfreich sei davon auszugehen, die alleinige Wahrheit zu besitzen.

    Forderungen an die Politik

    Anfragen aus dem Publikum machten deutlich, dass sich die Engagierten ein deutliches Signal der Kirchenleitenden wünschen, sich stärker im Gespräch mit Politikern für die Belange von Flüchtlingen einzusetzen. „Ich kritisiere die Dublin-Regelungen, aus meiner Sicht funktionieren sie nicht. Das bringe ich auch immer wieder im Austausch mit Landespolitikern und mit Politikern auf Bundesebene zur Sprache“, machte Volker Jung deutlich. Und er betonte: „Ich halte die Abschiebungen nach Afghanistan für hochproblematisch. Afghanistan ist kein sicheres Land.“ Im Vorfeld hatte Jung gegenüber der Multimedia-Redaktion der EKHN betonte: „Ich sehe mit Sorge, dass wir dem Grundverständnis, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, politisch nicht genug Raum geben.“ Das gehöre ganz oben auf die politische Agenda, auch wenn im Moment die Situation schwierig sei und man Widerstand von rechtspopulistischer Seite fürchten müsse. Jung betonte: „Da bedauere ich sehr, dass auf politischer Ebene ein Zurückrudern stattgefunden hat.“ Allerdings signalisierte er auch ein gewissen Verständnis für die Situation mancher Politiker.

    Evangelisches Profil und kulturelle Öffnung – wie passt das zusammen?

    Wie weit kann sie Kirche für Andere öffnen? Eine Sichtweise kann lauten: Wenn draußen „evangelisch“ dransteht, soll auch „evangelisch“ drin sein. Das hieße im Extremfall: Im evangelischen Kindergarten sollen auch evangelische Erzieherinnen angestellt sein. Im Jahr 2003 hat u.a. Peter Scherle eine andere Perspektive ins Spiel gebracht: Das evangelische Profil könne nur in „Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, mit vorfindlichen kulturellen Prägungen und religiösen Überzeugungen“ aufgefunden werden. An diesen Gedanken hat Pfarrer Andreas Lipsch erinnert. In dem Beitrag „Auf dem Weg zu einer interkulturellen Kirche“ in der Zeitschrift Junge Kirche (Ausgabe 4/16) hat der interkulturelle Beauftragte der EKHN drauf hingewiesen.

    Hinweise aus der Bibel
    Impulse zu der anfangs gestellten Frage bieten allerdings auch die biblischen Texte. So berichten die biblischen Verfasser beispielsweise davon, dass Gott zu Abraham sprach: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (1. Mose 12,4) Abraham kommt in Kanaan an, als Nomade zieht er aber auch dort umher und schließt bei Hebron ein Bündnis mit den Amoritern, die in der Gegend wohnen. Aber auch das Neue Testament äußert sich zum Aufbruch in die Fremde und zum Umgang mit Fremden. An Pfingsten erinnern Christen daran, dass die Apostel plötzlich in verschiedenen Sprachen – Arabisch, Griechisch, Latein – über Jesus sprechen konnten. Dadurch haben Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen die frohe Botschaft vernommen. Apostel Paulus hat sie außerdem auf seinen zahlreichen Reisen in die Welt getragen. „Auf Vielfalt angelegt ist die Kirche also von Anfang an“, schrieb auch Pfarrer Andreas Lipsch in seinem Beitrag über den Weg zu einer interkulturellen Kirche.

    Profil statt Beliebigkeit
    Kulturelle Öffnung ist allerdings nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln und so erinnert Andreas Lipsch an ein Bild Peter Scherles: „Das Bild einer Ellipse mit zwei Brennpunkten. Der eine Brennpunkt wäre der Christusbezug, der andere … das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit anderen.“ Und so schlussfolgert Andreas Lipsch: „Wenn nicht vorausgesetzt werden kann, dass die Kirchenmitgliedschaft der Mitarbeitenden das evangelische Profil garantiert und es auch nichtchristliche Mitarbeitende gibt, wird es umso dringlicher, das evangelische Profil einer kirchlichen und diakonischen Einrichtung klar zu beschreiben und zu leben.“ Zudem plädiert er für eine Kirche, die sich aufmache ins Offene und sich dabei frage, wen sie im Offenen und auf dem Weg brauche.

    Vision einer Gemeinschaft, in der jeder dazugehören kann

    In dem Text macht Andreas Lipsch auch auf die Vision eines neuen Jerusalems in der Offenbarung aufmerksam. Die Stadtmauer wird dann von zwölf Toren unterbrochen sein und es heißt: „Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage; denn da wird keine Nacht sein.“ (Offenbarung 21,25) Lipsch deutet: „In diesem Sozialraum sind ausnahmslos alle inkludiert und zugehörig.“ Pfarrer Lipsch fragt in dem Text, was heute schon von dieser Vision erfahrbar gemacht werden könne.

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