Glockenläuten
Abenteuerliche Geschichte der Glocken
Esther StoschGlocke auf der Landesgartenschau30.08.2016 esz Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Martin Vorländer (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Glocken gibt es schon im Alten Testament. Sie wurden zu einem christlichen Markenzeichen. So zerstritten die Christenheit sonst ist, Glocken gibt es in allen Kirchen. Bei den Kopten in Ägypten. Bei syrisch-orthodoxen Christen in Syrien und in der Türkei. In der katholischen Kathedrale St. Patrick auf der Fifth Avenue in Manhattan-New York ebenso wie im höchsten Kirchturm der Welt, dem evangelischen Ulmer Münster bis hin zu den viel besungenen Glocken von Rom.
Wo Glocken läuten, muss das Böse weichen
Glocken sind älter als Christentum und Judentum. Sie blicken auf eine fünftausendjährige Geschichte zurück. Ihr Ursprung dürfte in Asien liegen, der Heimat des Erzgusses. Man meinte, Erz und sein Klang vertreibe Dämonen und besänftige die Götter. Wo Glocken läuten, muss das Böse weichen. Darum hängte man im alten Mesopotamien Glocken um den Hals der Leitpferde, der Elefanten und Kamele. Mag sein, dass das im fröhlichen Gebimmel heutiger Kuhherden seinen Nachklang hat.
Über Südfrankreich nach Irland und dann aufs europäische Festland
Das frühe Christentum stand der Glocke zunächst ablehnend gegenüber. Die Glocke machte mondäne Umwege, um sich ihren Platz in den Kirchen zu erobern. Koptische Mönche verwendeten Glocken, um zum Gebet zu rufen. Sie standen in Verbindung zu dem Kloster auf der Insel Lérin an der südfranzösischen Küste vor Cannes. Damit hatte die Glocke den Sprung vom Osten in den Westen geschafft. Das Läuten zum Gebet wurde zum Bestandteil vieler Ordensregeln. Mönche nahmen die Glocke mit nach Irland und Schottland. Iroschottische Missionare wiederum brachten sie von den Inseln aufs europäische Festland. Karl der Große führte sie als Gebetszeichen allgemein ein. Nun läutete es im ganzen karolingischen Reich. Seit dem 13. Jahrhundert ruft das Glockengeläut insbesondere zum Friedensgebet. Die reformatorischen Kirchen behielten die bisherigen Läuteordnungen weitgehend bei. Sie betonten: Glocken sollen „führnehmlich zum Gottesdienst" läuten (Kirchenordnung Leipzig 1580).
Erster Weltkrieg: Glocken zu Kanonen
Zeiten, in denen Glocken lange schweigen, sind schlechte Zeiten. Im Ersten Weltkrieg wurden in Deutschland 65 000 Glocken zu Kanonen umgegossen. Viele Kirchengemeinden betrachteten das „Glockenopfer" als einen patriotischen Akt. Im Zweiten Weltkrieg ging es den Nationalsozialisten nicht nur um das Material. Das Schweigen der Glocken damals ging einher mit dem Schweigen der Menschen angesichts unfassbarer Gräueltaten. Menschlichkeit lebt auf, wenn Glocken zur Besinnung rufen, zur Unterbrechung des Alltags, zum Friedensgebet.
Läuten sorgt für einen gemeinsamen Lebensrhythmus
Was macht Glocken so attraktiv? Ihr Klang ist weithin zu hören. Auch wo Menschen verstreut wohnen, sorgt das Läuten für einen gemeinsamen Lebensrhythmus. Glocken können jahrhundertealt werden. In ihrem Läuten schwingt Ewigkeit. Der Glockenschlag macht hörbar, wie eine Stunde nach der anderen vergeht. Wem die Stunde schlägt. Das erinnert: Die eigene Lebenszeit ist endlich. Glocken haben meist einen Namen, eine eigene Inschrift und Verzierung. Das lässt sie wie eigenständige Persönlichkeiten erscheinen. „Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango", überschrieb Friedrich Schiller sein „Lied von der Glocke". Als spräche die Glocke selbst: „Die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich, die Blitze breche ich."
Heilende Kräfte der Glocken
Früher schrieb man den Glocken magische Kräfte zu, die sogar das Wetter beeinflussen können. Sie sollten Gewitterwolken zerstreuen. Abgefeilte Späne von Glocken halfen angeblich gegen Fieber. Bei Ohrenschmerzen und Heiserkeit empfahl man, seinen Namen mit blauer Kreide auf die größte Glocke zu schreiben. Aberglaube. Aber Glocken sind eben starke Symbole. Sie verweisen auf Gott, dem man alles anvertrauen darf. Vom kleinsten Wehwehchen bis zum allergrößten Leid.
Lärmklagen gegen Glockengeläut
Doch nicht jeder schätzt die Glocken. In Darmstadt-Eberstadt leidet ein Anwohner unter den Glocken der evangelischen Dreifaltigkeitskirche. Das Läuten sei ohrenbetäubend. Der Kirchenvorstand hat das Geläut messen lassen und festgestellt: Die gesetzlichen Richtwerte werden eingehalten.
In Udenheim in Rheinhessen hatte sich eine Bürgerin über den nächtlichen Glockenschlag und über das „polizeiliche Geläut", das dort traditionell den Arbeitstag strukturiert, beschwert. Die Kreisverwaltung in Alzey und das Landesamt für Umwelt in Mainz gaben ihr recht: Die zumutbaren Spitzenwerte würden überschritten. Die Glocken schweigen nun nachts und wurden tagsüber gedämpft. Doch in dem 1 300-Seelen-Dorf erhob sich Protest: „Wir woll'n die Glocken hör'n", kämpften Einwohner um ihr Geläut.
Glockenprobleme müssen im Einzelfall betrachtet werden
Für solche Konfliktfälle gebe es keine generelle Lösung, sagt Thomas Wilhelm, der Orgel- und Glockensachverständige der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Es müsse jeweils vor Ort im Gespräch mit den Betroffenen ein Weg gefunden werden. Läuteordnungen sind Sache der Kirchengemeinde. Meist sind sie jahrhundertealt. „Es geht nicht darum, dass eine Kirchengemeinde ihr Recht auf Läuten durchsetzt", so Wilhelm. „Glocken sind Klang gewordene Geschichte eines Ortes. Wir müssen besser vermitteln, welchen Schatz wir mit den Glocken haben." Bei der Dreifaltigkeitskirche in Darmstadt-Eberstadt beispielsweise hat er herausgefunden, dass die Glocken einschließlich der 500 Jahre alten St. Anna-Glocke besser aufeinander abgestimmt werden können. Dann klängen sie noch schöner. „Glocken sollen den Menschen nicht reglementieren, sondern ihm gut tun."