Reformationsfest
Eine Brücke vom Kürbis zur Kirche
ScreenshotMartin Luther als Gärtner: "Die Arbeiter im Weinberg des Herrn" von Lucas Cranach, d. J. (1573 - 1574)16.10.2022 hjb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Pfarrer i.R. Jeffrey Myers
Reformation oder Halloween? Auf den ersten Blick scheinen die beiden Feste Ende Oktober (31.10) nicht viel miteinander zu haben. Sind die Differenzen tatsächlich unüberbrückbar?
In der Gestalt des Kürbisses findet man vielleicht doch eine Brücke zwischen „Trick-or-Treat" und den 95 Thesen. Schon lange vor Halloween diente der Kürbis in der christlichen Kunst und der Literatur als Symbol, und zwar als Abbild für die Kürze und die Hinfälligkeit des Lebens. Der Kürbis dient aber auch wegen der großen Zahl seiner Kerne als Symbol des sich ausbreitenden Christentums und als Symbol der Auferstehung.
Der Mann, der die Reformation ins Rollen brachte, baute Kürbisse an
„… wenn ich am Leben bleibe, will ich ein Gärtner werden“, erzählte Martin Luther zu Beginn seiner Ehe mit Katharina von Bora. Der Reformator erklärte weiter, dass Gott den Menschen auf der Erde schuf und ihn hier ins Paradies mit den von ihm ebenfalls geschaffenen Pflanzen und Tieren setzte, „dass ers bebauen und bewahren soll“.
Der Mann, der die Reformation ins Rollen brachte, baute selbst Kürbisse in seinem Garten an. In einem Brief an den befreundeten Kollegen Wenzeslaus Linck in Nürnberg, der der Familie Luther Samen für den Garten geschenkt hat, schrieb Martin Luther: „Die Melonen oder Pfeben wachsen und sind darauf bedacht, ungeheuer große Räume einzunehmen, desgleichen auch die Kürbisse und Zitrullen, damit du nicht denkst, die Sämereien seien vergeblich geschickt worden“ (5. Juli 1527). In der Tat: Unter den verschiedenen Pflanzen, Kräutern und Gemüsesorten, die der Reformator pflanzte, gab es neben Koriander und Kresse, Minze und Mangold eben auch Kürbisse.
Martin Luther liebte das Gärtnern - und auch den Kürbis
Ein Bild von Lucas Cranach, dem Jüngeren (1573-74) zeigt Martin Luther als Gärtner: "Die Arbeiter im Weinberg des Herrn". Oder war es nicht vielmehr Katharina von Bora, die Ehefrau Luthers, die den Garten wachsen und gedeihen ließ? Folgendes Zitat ist überliefert: „So schaltete und waltete Frau Käthe im Haus und in ihren Gärten und Hufen als `Küchenmeisterin´, `Bäuerin und Gärtnerin´… Und als Gemüse pflanzte sie nicht nur die einheimischen: Kraut, Erbsen und Bohnen, sondern auch Gurken, Kürbisse und Melonen…“ (Katharina von Bora, D. Albrecht Thoma, Leipzig, 2004).
Garten diente dem Anbau eigener Lebensmittel
„Luthers Familie lebte wie ihre Nachbarn und überhaupt ein Großteil der damaligen Bevölkerung von selbstproduzierten Lebensmitteln. Viele betrieben neben ihrem eigentlichen Gewerbe Ackerbau und Viehzucht und hatten Gärten in und außerhalb der Stadt. Diese Gärten dienten vor allem dem Gemüse- und Heilkräuteranbau, wurden aber auch zur Erholung genutzt.“ (Luthers Paradiesgarten, Elke Strauchenbruch, Leipzig, 2015).
Und so schaffte es der Kürbis in die Luther-Übersetzung der Bibel: Es ist die Staude des Kürbisses, so Martin Luther, die dem Propheten Jona Schatten und Schutz verleiht und im Buch Jona als Gleichnis dient (vgl. Jona, Kap. 4 – Bibelübersetzung 1545). So gesehen will der Kürbis auch (symbolisch) daran erinnern, dass Gott die Seinen in Zeiten der Einsamkeit schützen will – so wie einst Jona.
Reformator Martin Luther deutet den Kürbis positiv
Freilich ist der biblische Kürbis im Nahen Osten eine andere Gemüsesorte als die dicken, orangefarbigen Speisekürbisse hierzulande. (Sie sind also nicht Vertreter der Gattung Cucurbita, sondern Arten der afro-asiatischen Kalebassen oder Flaschenkürbisse – Gattung: Lagenaria). Dennoch: Durch den Reformator wurde der Kürbis einst positiv gedeutet – und das biblische Buch Jona lädt ein, auch über diese Gabe Gottes nachzudenken.
Im oberen Teil einer Illustration („Die Geschichte von Jona“) aus der Luther-Bibel 1545 wird der Prophet Jona gezeigt, wie er unter einer Kürbispflanze Schutz vor der Hitze des Tages sucht. Ja, als Theologe Jeffrey Myers weiß ich um die Übersetzungs-Problematik beim entsprechenden hebräischen Wort für „Rizinus“ - Qiqajon (קיקיון) - es wird wahrscheinlich kein Kürbis gewesen sein. Sehr wahrscheinlich war es eine andere schattenspendende Pflanze.
Aber völlig losgelöst davon brauchen die christlichen Kirchen keine Angst vor Halloween zu haben. Die Frage „Halloween oder Reformationsfest?" wird fälschlicherweise als ein "Entweder - oder" formuliert; die beiden Ereignisse, die gemeinsame historische Wurzeln haben, spielen sich heute auf zwei verschiedenen Ebenen ab. Den Grund für einen Rückgang des Christentums hierzulande soll man nicht in Halloween suchen.
Halloween ist das drittgrößte Fest in Amerika
In den USA beispielsweise, wo Halloween das drittgrößte Fest bildet, werden zahllose kleine Prinzessinnen und Batmans – und sicherlich auch das eine oder andere als Martin Luther oder Katharina von Bora kostümierte Kind – mit ihren Familien auch am Reformations-Sonntag im Gottesdienst zu finden sein – nicht selten auf Einladung des Pastors, der Pfarrerin, im Kostüm zu erscheinen ähnlich wie bei uns hier der Fasching.
Das Motto „Trick-or-Treat" nimmt also nichts weg vom Motto der Reformation: Ecclesia reformata, semper reformanda! Der Kürbis kann eine versöhnliche Brücke zum 31. Oktober bauen, weil auch im Garten Martin Luthers in Wittenberg Kürbisse wuchsen.
Zum Schluss möchte ich ein paar Anregungen für einen freudevollen, sinnvollen Umgang mit dem „Halloween-Kürbis“ und zur Frage "Reformation oder Halloween?" weitergeben:
Was könnte man Sinnvolles mit einem Kürbis anstellen?
1. Einen Kürbis pflanzen: entweder selbst oder mit einem Kindergarten oder einer Vorschulgruppe einen Luther-„Paradiesgarten" anlegen. Eine Auflistung der Pflanzen, Kräutern und Gemüsesorten, die Martin Luther damals in Wittenberg anbaute, lässt sich im Internet finden.
2. Mit etwas Kreativität kann man einen Kürbis gestalten, der etwa Martin Luther und die Veröffentlichung der 95 Thesen an der Kirchentür in Wittenberg darstellt (Im Internet findet man entsprechende Schablonen und Anregungen). Dabei kann man die revolutionäre Bibelübersetzung Luthers vor 500 Jahren („Septembertestament 1522“) bestaunen, welche die deutsche Sprache maßgeblich geprägt und zahlreiche neue Formulierungen geschaffen hat, wie zum Beispiel „jemanden auf Händen tragen", „Perle von die Säue werfen“, „im Schweiße Deines Angesichts" oder „wie seinen Augapfel hüten" bzw. Alltagsbegriffe wie „Nächstenliebe“, „Herzenslust“, „Lästermaul“ oder „Gewissensbisse“.
3. Ob beim Kürbisschnitzen in der Familie oder beim beliebten "Trick-or-Treat"-Rundgang im Kreis der Freunde am Abend, stiftet das Kinderfest Halloween – mit dem Kürbis im Mittelpunkt – Gemeinschaft und schafft Freude. Ideen zur Vorbereitung und Durchführung eines für alle denkwürdigen „Trick-or-Treat“-Rundgangs geben wir gerne weiter.
4. Aus dem ausgehöhlten, leuchtenden Kürbis kann eine gesunde Kürbissuppe oder eine leckere Kürbistorte werden.
5. Anlässlich des Geburtstages des „Peanuts“-Zeichners Charles Schulz kann man die wunderbaren Geschichten um den „Großen Kürbis“ noch einmal in die Hand nehmen oder sich das Zeichentrickfilm „Der große Kürbis“ (1966) mit Familie oder Freunden anschauen.
6. Das Halloweenfest kann man zum Anlass nehmen, etwas Karitatives zu tun, beispielsweise die Aktion "Trick-or-Treat for UNICEF" unterstützen. Seit Anfang der 1950er Jahre haben Kinder – nicht selten mit einer Kürbis-Spendenbox in der Hand – bei dieser "Trick-or-Treat"-Aktion weit mehr als 100 Millionen Dollar gesammelt.
7. Das Basteln (nicht Kaufen!) eines Halloween-Kostüms fördert Kreativität und Phantasie. Dabei sind Grusel und Schrecken nicht erforderlich. Das schönste Kostüm jemals in unserer Familie war ein Kürbiskostüm.
8. Mit einer „Kürbis-Laterne“ in der Hand lässt sich ein historischer Abendrundgang „Auf den Spuren Martin Luthers“ in Frankfurt gestalten.
9. Die Einnahmen von den Kürbissen, die man pflanzt und erntet, könnte man an ein diakonisches Projekt in der Ukraine spenden.
10. Halloween hilft gegen ein verfrühtes Weihnachtsfest. Im Goldenen Oktober freut man sich viel mehr, eine lächelnde Kürbisfratze statt eines blinkenden Weihnachtsbaumes im Fenster zu sehen.