Tag zur Beseitigung der Armut
Armutsquote in Hessen auf traurigem Höchststand
S.v.Gehren/pixelio.deAuch die Jüngsten trifft es, wenn die Familie in die Armutsfalle rutscht: Sie wird zur Barriere, wenn die Kinder am Turnen teilnehmen, ein Musikinstrument lernen wollen oder ein Geburtstagsgeschenk für eine Party brauchen17.10.2014 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Die Armutsquote in Hessen hat mit 13,2 Prozent und deutschlandweit mit
16,1 Prozent einen traurigen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht.“ Darauf wies Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, anlässlich des „Welttages zur Überwindung der Armut“ am Freitag, 17. Oktober, hin. „Dieser Tag sollte für uns alle ein Anstoß sein, über die wachsende Anzahl der Menschen nachzudenken, die in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden“, sagte Gern, der bis 2011 Sprecher der Nationalen Armutskonferenz und zuvor Vorsitzender der Evangelischen Obdachlosenhilfe in Deutschland gewesen ist. In den letzten 20 Jahren sei zwar weltweit die absolute Armut und damit die Zahl der Menschen, die weltweit hungern müssen, deutlich gesunken. Doch Gern wies auch auf die Diskrepanz hin: „Der Anteil der Menschen, die in Deutschland und auch in Hessen in den letzten 20 Jahren von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden, ist kontinuierlich gestiegen“, so der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen.
Niedriglohn und Arbeitslosigkeit als Ursachen
Die Hauptursachen von Armut sind laut Gern Arbeitslosigkeit und Niedriglohn. In Hessen sind nach Berechnungen der Diakonie über 235.000 Menschen ohne Arbeit. Das sind 53.000 mehr als in der offiziellen Arbeitslosenstatistik, die bestimmte Personengruppen einfach herausrechne, zum Beispiel Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind oder sich in einer befristeten beruflichen Förderung finden, aber selbst damit keine dauerhafte Perspektive im Berufsleben haben. Darüber hinaus arbeite rund jeder fünfte Hesse im Niedriglohnbereich. Die meisten der von Armut Betroffenen gehören zur Gruppe der so genannten „Hartz IV“-Bezieher. Zwei Drittel der „Hartz IV“-Bezieher seien Kinder, Erwerbstätige im Niedriglohnbereich, Alleinerziehende oder Menschen, die Angehörige pflegen, schilderte der hessische Diakonie-Chef.
Hartz IV-Leistungen reichen nicht für ein Leben in Würde
„Wir müssen endlich die verletzenden Vorurteile gegenüber den Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, überwinden“, folgerte Gern. Diese Vorurteile seien auch in der Politik verbreitet. Die für das kommende Frühjahr geplante so genannte „Rechtsvereinfachung im SGB II“ zum Beispiel beinhalte weitere Möglichkeiten zur Aktivierung und Sanktionierung, die von Betroffenen oft als demütigend erlebt werden. Weiter sagte der Theologe:
„Wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. September festgestellt hat, dass die „Hartz IV“-Leistungen gerade noch verfassungsgemäß sind, dann ist dies mehr als bedauerlich, denn die Leistungen reichen schon lange nicht mehr für ein Leben in Würde aus.“
Rechte armer Kinder in den Blick nehmen
Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht auch Nachbesserungsbedarf an einigen wichtigen Punkten angemahnt, so Gern. So muss der Gesetzgeber nun etwa im Blick auf den Regelsatz für mehr finanziellen Spielraum sorgen, damit Betroffene Unterdeckungen ausgleichen können. Extreme Preissteigerungen, wie bei den Stromkosten, müssten zeitnah ausgeglichen werden. Und die Fahrten von Kindern zum Sportverein müssen laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts künftig erstattet werden. „Es ist traurig, dass viele Rechte armer Kinder in unserem reichen Land erst vor dem Verfassungsgericht erkämpft werden müssen. Es darf nicht sein, dass zum Beispiel das Turnen nur denen vorbehalten bleibt, die genug Geld für die Fahrt zur Sporthalle haben“, schloss der Vorsitzende der hessischen Diakonie.