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    Theologie und Gentechnik

    Genmanipulierte Babys - ein Problem aus christlicher Sicht?

    iLexx/istockphoto.comEmbryonale ZellenSchon bald nach der Befruchtung der menschlichen Eizelle beginnt die Zellteilung; im weiblichen Körper würde sich der Embryo am 5. oder 6. Entwicklungstag in die Gebärmutterschleimhaut einnisten

    Sie sollen in China geboren worden sein - Lulu und Nana heißen sie, und seien Zwillinge. Das Besondere: Bei ihnen handelt es sich offenbar um die ersten genveränderten Babys der Welt! Das behauptet zumindest der Forscher He Jiankiu. Was heißt das aus christlicher Sicht?

    privatPeter DabrockProf. Dr. Peter Dabrock ist Leiter des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates | Bild: privat

    Er habe die Embryonen gentechnisch verändert, um die Babys resistent gegen HIV zu machen, sagt He Jiankiu. Kritik kommt von vielen Experten angesichts moralischer Fragen. Auch der Deutsche Ethikrat hat sich in einer Stellungnahme bereits kritisch geäußert. Rechtlich handelt es sich bei der Genmanipulation teilweise um eine Grauzone, denn es gibt weltweit kein einheitliches Verbot von Veränderungen der menschlichen Keimbahn. In Deutschland sind derartige Eingriffe aufgrund des Embryonenschutzgesetzes allerdings unter Androhung von bis zu zwei Jahren Haft verboten.

    Diskussion um Veränderung von Embryonen in Großbritannien 2016

    Über die Problematik hatten wir bereits vor gut zwei Jahren mit dem Theologen Prof. Dr. Peter Dabrock gesprochen. Er ist Leiter des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und mittlerweile Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Anlass war damals die Nachricht, dass Wissenschaftler in Groß-Britannien aller Voraussicht nach das Erbgut menschlicher Embryonen verändern dürfen; das hatte Anfang 2016 die zuständige britische Regulierungsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embyology Authority) entschieden. Die Zustimmung der britischen Ethikkommission stand allerdings noch aus.

    Gegenüber der Multimedia-Redaktion der EKHN bezog der evangelische Ethik-Professor Peter Dabrock Stellung, der auch stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates ist.

    Wenn der Mensch das Erbgut menschlicher Embryonen verändert: Greift er durch Gentechnik in Gottes Schöpfung ein?

    Peter Dabrock: Der Mensch als einzelner, ja die ganze Menschheit greift ständig in Gottes Schöpfung ein. Man kann nicht nicht eingreifen. Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob er es tut, sondern ob die jeweiligen Folgen einer Handlung verantwortbar sind oder nicht. Den Menschen als Ebenbild Gottes zu begreifen, heißt sich der – im wahrsten Sinne des Wortes – gewaltigen Potentiale menschlichen Tuns, aber auch der einzigartigen Verantwortungsposition des Menschen bewusst zu werden.

    Woran lässt sich ablesen, ob eine Handlung verantwortbar ist oder nicht? Haben Sie einen Leitgedanken oder eine Leitfrage vor dem Hintergrund Ihres christlichen Glaubens, der hier Orientierung für Entscheidungen gibt?

    Peter Dabrock: Darauf gibt es – je nach moralischer Tradition – zunächst vermeintlich einfache Antworten: In religiöser Direktheit antwortet vielleicht so mancher: Indem man Gottes Wort gehorcht! Aber was ist Gottes Wort in Fragen der Genomchirurgie? Ich glaube, da sollte man ehrlich sagen: So einfach – also sich hier direkt auf Gottes Wort zu berufen – geht es nicht. Man sollte sich deshalb – egal ob religiös oder nicht-religiös – einige kritische Prüffragen stellen, um zu klären, ob eine Handlung oder eine Entscheidung verantwortbar ist, z.B.:

    • Wem nützen die Handlungen, wem schaden sie?
    • Habe ich die Risiken bedacht?
    • Wen treffen die möglichen Folgen zuerst?
    • Sind mögliche Schäden korrigierbar oder nicht?
    • Werden Menschenwürde und Menschenrechte geachtet, aber auch Nachhaltigkeit und die Vernetzung des Lebens berücksichtigt?
    • Werden Menschen, andere Lebewesen oder die Umwelt so verändert, dass unsere einigermaßen bewährten Vorstellungen von einem guten und gerechten Leben auf problematische Weise verändert werden?
    • Aber was bedeutet „auf problematische Weise“?
    • Für wen sind welche Folgen problematisch?
    • Ist es gut, wenn eine solche Handlung zur Normalität würde?
    • Wie wollen wir dann leben, wenn wir solche Handlungen als normal erachten?
    • Gibt es Alternativen, die weniger problematisch sind? usw.

    Schaut man sich dann – wie im Falle der Genomchirurgie, bei der Embryonen in der Petrischale manipuliert und anschließend vernichtet werden sollen – die Sachlage genauer an, merkt man aber, dass die Beantwortung solcher Fragen gar nicht so einfach ist.

    Warum?

    Peter Dabrock: Deswegen, weil wir ja nicht nur Verantwortung für unser Tun, sondern auch für unser Unterlassen haben. In dem Fall der Veränderung des Erbgutes von Embryonen - die zu implantieren im Übrigen auch in England streng verboten ist - sehe ich derzeit die problematischen Effekte stärker als den erwartbaren Nutzen. Denn dieser dürfte absehbar recht gering sein; aber dass der Eindruck einer technischen Kolonialisierung des menschlichen Lebens mit solchen Experimenten zunimmt, wird man kaum bestreiten können. Einer solchen Befürchtung zuzuarbeiten, scheint mir ein schwerwiegender Schaden solcher keineswegs alternativloser Experimente zu sein. Ein solches Tun untergräbt das Vertrauen in den Sinn guter Forschung. Diese These kann man auch dann vertreten – und ich tue dies –, wenn man nicht der Auffassung ist, dass der Beginn menschlichen Lebens einfach mit der Befruchtung gegeben ist.

    Ab wann ist aus Ihrer Sicht als christlicher Theologe der Mensch ein Mensch – mit unverlierbarer Würde?

    Peter Dabrock: Je länger ich die wissenschaftlichen Debatten versuche zu verfolgen, fällt es mir zunehmend schwerer, klar zu sagen,  wie der Anfang des Lebens zu bestimmen ist. Es ist nicht so leicht, wie es die vermeintlich so klare These „Menschliches Leben beginnt mit der Befruchtung oder der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle“ vermuten lässt. Der Anfang ist nämlich selbst ein komplexes und prozesshaftes Geschehen und nicht einfach ein punktuelles Ereignis. Wer daher den Anfang erst mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterwand stabilisiert sieht und erst dann den vollen Menschenwürdeschutz beginnen lassen will, argumentiert nicht willkürlich. Eine auf dieser Bestimmung aufruhende Erlaubnis von verbrauchender Embryonenforschung, wie in England, ist daher auch nicht einfach ein Tabubruch. Dass diese Forschung aber eben doch sehr problematische Seiten mit sich führt, habe ich ja ausdrücklich betont.

    Was sind die Herausforderungen, Forschungsvorhaben ethisch einzuschätzen?

    Peter Dabrock: Zurück zu der schwierigen Einschätzung, dass nicht nur das Tun, sondern auch das Unterlassen wissenschaftlicher Experimente zu verantworten ist. Es gibt verantwortungsethisch deutlich schwieriger einzuschätzende Fälle als die verbrauchende Embryonenforschung, die gerade die Gemüter so bewegt, z.B.: Soll man Tierversuchen zustimmen, auch wenn man weiß, dass Tiere Leid erfahren und dadurch zu Tode kommen? So sehr man intuitiv sagt: „Nein!“, muss man sich – jenseits keineswegs zu leugnenden Missbrauchs – auch selbstkritisch fragen: Profitieren nicht alle, auch Tierversuchsgegner, immer dann, wenn sie schon einmal Medikamente genommen haben, die es ohne diese Versuche nicht gäbe, von solcher Versuchen? Würde ich ohne Wenn und Aber gegen Tierversuche zur Medikamentenentwicklung protestieren, müsste ich auch Rechenschaft über solche Unterlassungen ablegen, z.B. darüber, dass mein eigenes Kind im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung ein solches Medikament konsequenterweise nicht bekommen dürfte. Oft stehen wir deshalb bei Eingriffen in die Natur, oder religiös reformuliert - in Gottes Schöpfung - vor schweren, aufgrund der oft enorm komplexen Gemengelage vor Dilemmatasituationen und vor Entscheidungen, die sich dem einfachen Schwarz-Weiß-Schema entziehen. Dann können wir nur versuchen, sorgsam abzuwägen, um am Ende eine hoffentlich vor Gott, den Menschen und der übrigen Schöpfung verantwortliche Entscheidung zu treffen. Mich tröstet und ermutigt Bonhoeffers Wort, dass Verantwortung eben auch die Bereitschaft zur Schuldübernahme meint, und er fügt an: eine Bereitschaft, die man im Glauben vor den gnädigen Gott trägt.

    In welchem Verhältnis sehen Sie Glaube und Forschung?

    Peter Dabrock: Glaube ist Glaube, Forschung ist Forschung. Aber es sind Menschen, die Forschung betreiben, auch Menschen, die glauben. Glauben bedeutet ein tiefes Vertrauen, getragen zu sein. Dieses tiefe Vertrauen kann dem Gläubigen im besten Fall ermutigen, die Welt mit Gottes Augen zu sehen: nicht eigennützig, sondern zum Wohle des Ganzen – in größtem Wohlwollen, sozusagen: in Liebe. Ehrlicher Glaube – darauf weist uns immer wieder gerade die evangelische Tradition hin – hat ein nüchternes Verhältnis zur Realität. Will sagen: er sieht und gesteht frank und frei, dass wir ständig mit diesem Versuch scheitern, die Welt mit Gottes Augen zu sehen. Hoffnungsfroher Glaube lässt sich aber zusagen, dass wir immer wieder neu anfangen dürfen und sollen. Aus der Mischung von Gottvertrauen, nüchternem Realismus und umkehrbereiter Hoffnung sollte auch der Blick auf die Welt und die Forschung geprägt sein: Dann kann man die Forschung würdigen, sie neugierig verfolgen, aber auch immer Skepsis wahren, wo jemand glaubt, mit dem naturwissenschaftlichen Fortschritt die Welt vollständig erklären und sie ihrer Geheimnishaftigkeit berauben zu können.

    Kritiker befürchten, dass die Technik, die auch als Genchirurgie bezeichnet wird, später einmal die Entwicklung von „Designbabys“ ermöglichen könnte. Auch Sie sprechen von einer Angst, einem bis ins Körperliche dringenden Perfektionswahn, nicht zu genügen. Wie lautet vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens Ihre Antwort zu dieser Haltung?

    Peter Dabrock: Im Großen und Ganzen bin ich überaus dankbar für den wissenschaftlichen Fortschritt: Wer, der diese Zeilen liest, wäre wohl noch da oder litt nicht unter allerlei Krankheiten und Gebrechen, wenn es den unglaublichen Fortschritt in Wissenschaft und Medizin nicht gäbe?
    Die ehrliche Beantwortung dieser Frage sollte fast allen nicht nur Grund zur Dankbarkeit geben, sie sollte auch zur der Einsicht führen, dass der wissenschaftliche Fortschritt ein ungeheuer komplexes Geschehen ist: Da forschen hunderte von Forschergruppen weltweit an irgendeiner kleinen Fragestellung; lange zeigt sich – außer einem rein theoretischen Gewinn an Erkenntnissen in der Grundlagenforschung – kein praktischer Nutzen. Man weiß auch gar nicht, ob es einen Durchbruch in irgendwelche praktischen Anwendungen hinein geben wird – ja und vielleicht, aber eben wirklich nur: vielleicht tut sich plötzlich eine großartige Option auf. Was wir daher als wissenschaftlichen Fortschritt bezeichnen, ist ein zähes Arbeiten mit viel „Versuch und Irrtum“ und ohne einen gewissen Ausgang.
    Ich sage das deshalb, damit wir uns vor allzu naiven Forderungen hüten, nur anwendungsorientierte Forschung sei wichtig und gut. Nein, ohne vermeintlich zweckfreie Grundlagenforschung wird auch die Anwendungsforschung bald stagnieren.
    Umgekehrt müssen wir nüchtern bleiben: Die Wissenschaft bringt nicht das Heil. Wo sie das verspricht, nein: wo einzelne Wissenschaftler das versprechen  – und neuerdings hört man ja wieder verstärkt die Rede davon, dass wir bald den Tod überwinden würden –, da spielt sich Wissenschaft als Ersatzreligion auf. Mit Bonhoeffer gesprochen: Vorletztes gibt sich als Letztes aus. Im christlichen Glauben versuche ich daher, bei aller Begeisterung für wissenschaftliche Innovationen immer wieder Letztes von Vorletztem zu unterscheiden, mit der bleibenden Endlichkeit des Lebens zu Recht zu kommen und jenseits von moralischem Kleinmut und diesseits von selbstsicherem Hochmut eine Sensibilität für die Verantwortung im Umgang mit der Schöpfung zu entwickeln.

    Vielen Dank!

     

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    Prof. Dr. Peter Dabrock - Leiter des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Uni Erlangen-Nürnberg

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