Interview
Brasilianischer Pfarrer erlebt die WM hautnah
isitsharp/istockphotoBlick über die Stadt Rio de Janeiro vom Hubschrauber aus - mit der Christusstatue im Vordergrund08.07.2014 tw Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
privatPfarrer Rolf Rieck aus Rio de Janeiro hat ein offenes Ohr für die Wünsche, Sorgen und Nöte der BrasilianerRieck lebt in fünfter Generation einer ausgewanderten deutschen Familie in Brasilien. Er erlebt die Fußballweltmeisterschaft hautnah. Nach der Niederlage der Brasilianer meldete sich der Pfarrer noch einmal zurück.
Herr Rieck, wie erleben Sie die Weltmeisterschaft?
Rolf Rieck: Am Anfang haben wir wenig gesehen hier in dieser Stadt, die berühmt ist wegen des Stadions Maracana. Die Leute hatten anfangs nicht viel Lust, die Weltmeisterschaft zu feiern. Aber eine oder zwei Wochen vor Beginn des Turniers haben die Leute sich ein bisschen mehr für das Fest engagiert. So langsam freuen wir uns auch über die Weltmeisterschaft.
Wieso haben Sie sich vorher nicht gefreut?
Rolf Rieck: Die brasilianische Bundesregierung hat uns gezeigt wie viel Geld man ausgibt für die Weltmeisterschaft und wie wenig ausgegeben wird für Gesundheit, für Gerechtigkeit. Das hat die Bevölkerung gegen diese Weltmeisterschaft aufgebracht. Mehrere haben gesagt: ‚Es gibt hier keine Weltmeisterschaft, das wollen wir nicht zulassen‘. Die sozialen Veränderungen hätten mehr Wert gehabt, als die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft. Das hat sich langsam umgewandelt in Freude und Hoffnung.
Trotzdem bleiben die Probleme bestehen, die schlechte gesundheitliche Versorgung etwa. Was sagen Sie dazu?
Rolf Rieck: Nach der Weltmeisterschaft haben wir Wahlen hier im Oktober und wir hoffen, dass wir als Kirche und Volk dort die Antwort geben. Die Bevölkerung hat sich gegen die Weltmeisterschaft gestellt. Jetzt wird sie jedoch sagen können: ‚Wir fordern für unser Gesundheitssystem denselben Standard wie ihn die FIFA für ihre Weltmeisterschaft bekommen hat‘. Wir hoffen, dass diese Bewegung bleibt, ohne Vandalismus aber aktiv.
Waren Sie auch bei Protesten dabei?
Rolf Rieck: Ich bin seit einem Jahr hier in Rio. Hier war ich nicht bei den Protesten dabei, weil es zu gefährlich war. Es sind Schüsse gefallen und es gab Krawalle. Aber im Süden Brasiliens war ich unter den Demonstranten. Als Gemeinde haben wir eine Protestschrift angefertigt und sie der Regierung in der Stadt und der Polizei vorgelegt. Aber an den Krawallen haben wir uns nicht beteiligt, weil sie wirklich zu scharf waren. Das war lebensgefährlich.
Wie schauen Sie die Spiele in Ihrer Gemeinde?
Rolf Rieck: Wir haben uns einen Beamer aufgebaut. Wir schauen die Spiele, wir essen Popcorn zusammen oder einen Imbiss. Am Samstag hatten wir zwischen den beiden Viertelfinalspielen einen kleinen, zweisprachigen Gottesdienst auf Deutsch und Portugiesisch. Jeden Freitag um 17 Uhr haben wir einen deutschen Gottesdienst für die deutschen Fans, die hier in der Stadt sind zur Weltmeisterschaft.
Wie wird der besucht? Waren schon ein paar Fußballfans in Ihrem Gottesdienst?
Rolf Rieck: (lacht) Nur brasilianische Fans, die Deutschen kamen nicht. Die hatten wohl ein anderes Programm. Wir sind schon vielen Deutschen auf dem FIFA-Fanfest begegnet. Wir haben sie angesprochen und eingeladen, aber die wollen das natürlich nicht. Die sind hier in der Stadt, um Rio anzuschauen. Wir haben doch diese schönen Strände hier. Wer will denn da in die Kirche kommen? Die Fans bleiben am Strand.
Dann müssen Sie an den Strand gehen und da einen Gottesdienst halten.
Rolf Rieck: (lacht) Ja, das haben wir auch schon versucht, aber das ist wirklich nicht so einfach. Die Fifa gibt uns diese Möglichkeit nicht. Das ist schwierig.
Wie stark sind Sie eingeschränkt von der Fifa?
Rolf Rieck: Nicht nur die Fifa erlaubt uns nicht Gottesdienste am Strand abzuhalten. Auch die Stadt verbietet das. Aber die Fifa beschränkt alles sehr. Alles muss so sein wie sie es denkt. Es wird nur das verkauft, es wird nur das beworben was die Fifa verkauft. Dann ist die Kirche auch ein bisschen eingeschränkt. Natürlich kann man persönlich Zettel austeilen, das machen wir auch, aber die Resonanz darauf ist sehr gering.
Wie sehr betrifft die WM die armen Menschen in Brasilien?
Rolf Rieck: Die Preise für den Eintritt in die Fußballstadien sind sehr hoch. Dafür hat niemand das Geld. Nicht nur die Armen, wir selbst haben versucht, ein Spiel zu besuchen. Man kann das nicht bezahlen. Die Preise sind zu hoch. Offiziell sind die Preise ab 60 Reais, das wären ungefähr 20 Euro. Aber niemand bietet die Karten für diesen Preis an. Der Verkauf liegt ja in den Händen von anderen Leuten, die ein Ticket für 1200 Reais verkaufen. Da kann man nicht hin. Nicht nur die Armen können nicht ins Stadion, auch die mittlere Schicht kann nicht hinein. Wir haben im Alltag nicht genug Geld, um das zu machen.
Das heißt ja eigentlich, dass diese Fußballfestspiele nur etwas für die Oberschicht sind.
Rolf Rieck: Im Stadion ganz gewiss. Aber man sieht, dass diese armen Menschen ihre Zelte in einer Straße aufbauen, einen großen Fernseher hinstellen und dann feiern - mit Musik. Hier in der Stadt, schon bevor die FIFA mit ihren Beschränkungen kam, hatten wir viele Plätze, auf denen das schon so bei großen Fußballspielen gemacht wurde. Die Armen und die mittlere Schicht organisieren sich und feiern auf der Straße. Das ist sehr lustig, das ist sehr schön, da hat man auch mal ein paar Probleme mit Betrunkenen, aber das arme Volk feiert sich selbst und das ist schön. Sie freuen sich sehr darüber.
Sie sind Brasilianer, leben in der fünften Generation einer deutschen Familie in Brasilien. Zu welcher Mannschaft halten Sie beim Spiel Deutschland gegen Brasilien?
Rolf Rieck: Freilich bin ich für Brasilien. Sollte es aber so sein, dass Deutschland weiterkommt, dann sind wir für die deutsche Mannschaft. Aber gegen Brasilien werde ich nie tippen. (lacht)
Mal sehen wer gewinnt…
Rolf Rieck: Ah, das möchte ich auch noch sagen. Die meisten armen Menschen in Rio de Janeiro sind Fans des Fußballvereins Flamengo. Das Trikot dieses Vereins ist schwarz und rot. Als das deutsche Team mit ihren schwarzen und roten Trikots nach Brasilien kam, waren diese Fans so begeistert von der Ähnlichkeit, dass sie Fans von Deutschland wurden. Es gibt in der Straße, in der unsere Gemeinde sitzt, einen sehr alten Mann. Ich bin ihm begegnet, als er ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft trug und habe ihn danach gefragt. Er hat ja nichts mit Deutschland zu tun. Er sagte, er sei Fan von Deutschland, weil sie die gleiche Farbe haben, wie die Trikots seines Lieblingsteams Flamengo. Der Verein hat die meisten Fans in Brasilien. Deutschland hat also die Brasilianer für sich gewonnen.
Eine abschließende Frage: Wer wird Weltmeister?
Rolf Rieck: (lacht) Brasilien.
Da lassen Sie auch nicht mit sich verhandeln?
Rolf Rieck: Nein, obwohl man sich manchmal denkt, dass es gut wäre, wenn Brasilien nicht der Sieger der Weltmeisterschaft ist. Damit nicht alles ein Fest wird. Aber auf der anderen Seite ist es gut, damit wir als brasilianische Bevölkerung sehen: Es ist möglich, dass Brasilien besser wird. Wir wollen dafür arbeiten. Das machen wir auch als Kirche.
Nachtrag: Nach der Niederlage der Brasilianer meldete sich Rolf Rieg nach dem Interview noch einmal erschüttert zurück - mit den Worten: "Nein, das kann nicht wahr sein."