Familien in Coronakrise
Was ärmeren Familien helfen kann, durch die Corona-Zeit zu kommen
Quelle: gettyimages, sanya_smÄrmere Familien haben oft mit knappen finanziellen Mitteln und beengen Wohnverhältnissen zu kämpfen - viele Eltern tun aber alles dafür, um glückliche Momente für ihre Kinder zu schaffen06.05.2020 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Noch fünf Minuten, dann meldet sich Farina K.* wieder, ruft die dreifache Mutter in den Telefonhörer. Im Hintergrund weint eines der Kinder. Es gibt gleich Essen. Später entschuldigt sich die Wiesbadenerin vielfach für die Verspätung. Aber es sei anstrengend mit drei kleinen Kindern allein zu Hause, sagt sie.
Viele Mütter werden das kennen: Wegen Corona sind die Kitas geschlossen, auch der Schulunterricht nimmt nur langsam wieder Fahrt auf. Bei Farina K. kommt noch eine weitere Sorge hinzu: Die Sache mit dem Geld. „Die Angst war immer da“, erzählt die junge Mutter.
Der Mann darf arbeiten, das Geld reicht trotzdem nicht
Schon seit Jahren müssen ihr Mann und sie sparsam leben, auf vieles verzichten. Ihr marrokanischer Mann arbeitet bei der Müllabfuhr. „Gott sei Dank“, sagt Farina K., denn er habe einen festen Vertrag, darf trotz Corona weiterarbeiten. „Ansonsten wüsste ich überhaupt nicht, was ich machen soll“, erzählt die 31-Jährige. Trotzdem: Viel verdiene ihr Mann nicht. Zumindest nicht, um eine Familie mit drei Kindern üppig zu versorgen. Fast jedes Wochenende und an den Feiertagen sei er unterwegs, um noch ein bisschen Geld zusätzlich in die Familienkasse zu bringen, erzählt Farina K. Und mit der Freude darüber, dass er weiterhin arbeiten kann, wächst auch die Sorge, dass er sich anstecken könnte. Dann würde zumindest der Zusatzbetrag von den Schichten an den Wochenenden wegfallen. Ein Ausfall, der die junge Familie in Bedrängnis bringen würde.
Die Abfallwirtschaft gilt während Corona zu den sogenannten systemrelevanten Berufen. Das heißt, Farina K. hat einen Anspruch auf Hilfe bei der Betreuung ihrer Kinder. Davon wusste die junge Frau bis zum Interview-Termin noch nichts, wie sie sagt.
Armut in Deutschland nimmt zu
Fast zwei Millionen Kinder leben in Familien, die Grundsicherung erhalten, so die aktuellste Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Juni 2019. Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist zudem klar: Die Armut in Deutschland wächst. Betroffen sind vor allem kranke und alte Menschen, Niedriglohn-Empfänger und Arbeitslose, kinderreiche Familien und Alleinerziehende. Hierzulande ist von "relativer Armut" die Rede: Wer deutlich weniger besitzt als der Durchschnitt, gilt als arm. Experten befürchten, dass die Corona-Krise Armut und bestehende Ungerechtigkeiten weiter verschärfen könnte.
Besonders in Ballungs-Gebieten wie dem Rhein-Main-Gebiet ist die Lage umso schwieriger. Die Wohnungen und der Lebensunterhalt sind teuer. Auch in Wiesbaden, beklagt Farina K., die mit ihrer Familie auf etwa 70 Quadratmetern in der Siedlung Gräselberg in Biebrich lebt. Der Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt. Laut „Sozialraumanalyse“ der Stadt von 2019 wohnen dort viele Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen, keinen Schul- oder Ausbildungsabschluss haben oder Hilfe vom Staat benötigen.
Kleine Wohnungen sind das größte Problem
Doch auch außerhalb der Wiesbadener City ist Wohnraum knapp, die Mieten hoch. Das ist nach Einschätzung von Hella Wagner derzeit das größte Problem sozial benachteiligter Familien. Die Wohnungen der Betroffenen seien oftmals sehr klein, da sie sonst unbezahlbar wären, berichtet die Sozialarbeiterin der Evangelischen Familienbildung im Dekanat Wiesbaden. Oftmals betreffe das Familien mit Migrationshintergrund, berichtet die 57-Jährige. Viele lebten von Hartz IV.
Zumindest dieses Geld fließe trotz Corona weiter, erklärt Wagner. Daher rücke die finanzielle Sorge bei einigen erst einmal in den Hintergrund. Schlimmer sei vor allem für die meisten Mütter derzeit die beengte Wohnsituation. Ausländische Familien hätten nicht selten fünf bis sechs Kinder. Die alle auf engstem Raum - da sei Streit vorprogrammiert, weiß die Familienexpertin. Wagner befürchtet zudem, dass die häusliche Gewalt in den kommenden Wochen zunehmen könnte. Davon sind auch entsprechende Initiativen überzeugt.
Mütter und Kinder bei Laune halten
Deswegen sorgt die Sozialarbeiterin für so viel Hilfe, Beratung und Abwechslung für die Familien wie möglich. Dafür hat sie so einiges im Programm: Bastelvorschläge, Spielideen, Kochrezepte. Außerdem bietet sie besonders für die Mütter Einzelgespräche an und ist alle zwei Wochen für etwa eine Stunde vor Ort im Freien. Die Mütter können mit ausreichend Abstand kurz vorbeikommen, sich gegenseitig kurz sehen und austauschen. Das tue vielen gut, sagt Wagner.
Die meisten Familien hätten sich inzwischen an den neuen Alltag mit dem Virus gewöhnt, meint Wagner weiter. Das sei in den ersten zwei Wochen der Pandemie anders gewesen. Jeder sei nervös gewesen, wusste nicht wie es weiter geht.
Vorräte kaufen war nicht möglich
So ging es auch Farina K. Am schlimmsten seien die Bilder und Berichte von Hamstereinkäufen gewesen, schildert die Mutter: „Ich hatte echt Panik!“ Gerne hätten ihr Mann und sie auch einiges auf Vorrat besorgt – zumindest etwas Mehl und Öl, wie sie erzählt. „Aber das konnten wir uns nicht leisten, so viel auf einmal zu kaufen.“ In der Woche stehen der Familie ungefähr 30 Euro für den Einkauf zur Verfügung, wie die junge Frau erzählt.
Immerhin, so betont Farina K., wüssten ihr Mann und sie inzwischen gut, wie sich sparen lässt. Insofern fühlen sie sich auf Corona und die Zeit nach der Pandemie vorbereitet. Von der Regierung allerdings ist die Mutter eher enttäuscht. „Die können mich auch nicht beruhigen“, erzählt sie. „Wir haben Angst, was auf uns zukommt.“ Eigentlich soll ihr ältester Sohn dieses Jahr eingeschult werden, aber auch das sei zurzeit nicht mehr sicher, wie Farina K. mit dünner Stimme erzählt. Dabei spare das Ehepaar gerade auf einen neuen Schulranzen.
Unterricht zu Hause wird zur Herausforderung
Für herkunftsbenachteiligte Familien mit schulpflichtigen Kindern komme noch eine weitere Belastung hinzu, berichtet Shala Nasrian. Die Kinderbetreuerin, die ebenfalls für die Wiesbadener Familienbildung arbeitet, kümmert sich um den Nachwuchs von Flüchtlingsfamilien in der Umgebung. Die Eltern könnten oft selbst kaum Deutsch. Da die Vor-Ort-Sprachkurse derzeit ebenfalls größtenteils auf Eis liegen, erschwere das die Lage, wie Nasrian sagt. Die Hausaufgaben für die Schüler schickte die Mehrzahl der Lehrer per WhatsApp oder E-Mail. Viele Kinder der betroffenen Familien hätten jedoch keinen Computer oder Laptop, oftmals gebe es auch kein W-LAN im Haushalt. Für diese Fälle gebe es die Möglichkeit, sich die Aufgaben in der Schule abzuholen – machbar und doch eine etwas mühsamere Alternative.
Immerhin dürften für viele der Familien die Nachrichten der vergangenen Tage ein Lichtblick sein: So möchte der Bund zum Beispiel Spielplätze wieder öffnen. Zumindest unter Einhaltung entsprechender Hygieneregeln. Auch die Kitas sollen bis zum Sommer schrittweise geöffnet werden, wie Familienministerin Franziska Giffey ankündigte.
Das dürfte auch Farina K. freuen. Besonders ihr Ältester frage immer wieder nach seinen Freunden und wann er sie endlich wieder sehen könnte. Darauf könnte sie ihm dann schon bald möglicherweise endlich eine zufriedenstellende Antwort geben. „Und das ist die Hauptsache, dass meine Kinder glücklich sind“, sagt die Mutter entschlossen.
* Name ist der Redaktion bekannt und wurde gäendert
Links zu den Familienbildungsstätten in der EKHN
Corona-Nothilfe gegen Armut
Die Diakonie Hessen hat mit der EKHN sowie der EKKW im März 2020 die Spendenaktion "Corona-Nothilfe gegen Armut" gestartet. In Ergänzung zu vielfältigen lokalen Aktivitäten werden Mittel gesammelt, um die etwa 27.000 Personen, die von Kirche und Diakonie regelmäßig in Form von Lebensmitteln, warmen Mahlzeiten oder Gutscheinen Unterstützung erhalten, bei den aktuellen Kontakteinschränkungen nicht alleine zu lassen.
mehr über die Spendenaktion
[Carina Dobra]