Zwiegespräch über ein Grundthema der Reformation:
„Toleranz braucht Klarheit der eigenen Position“
Evangelisches Dekanat WetterauDekan Volkhard Guth, Bürgermeister Armin Häuser und Gemeindepfarrer Siegfried Nickel vor der Tür der evangelischen Kirche in Bad Nauheim-Steinfurth20.09.2017 cpf Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Die letzte Dialogpredigt im Rahmen des Reformationsjubiläums war gleichzeitig der letzte Tag Häusers im Amt des Bürgermeisters von Bad Nauheim.
Ist Toleranz überhaupt erstrebenswert? Ja, sagte Armin Häuser. Grundsätzlich gehe es darum, andere Überzeugungen als gleichberechtigt anzuerkennen. „Toleranz schließt Missionierung aus,“ postulierte er. Schon den Versuch der Beeinflussung oder gar Manipulation wertete er als inakzeptabel.
Häusers Definition von Toleranz mochte der Theologe Guth nicht ganz folgen. Es sei für Christen wichtig, sich der eigenen Überzeugungen bewusst zu sein, denn ohne diese könne man keinen Dialog mit anderen führen, entgegnete Guth. Toleranz dürfe nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden, sondern bedeute vielmehr, sich um den anderen zu bemühen. „Gute Nachbarschaft gelingt erst, wenn man Klarheit in den eigenen Positionen gewonnen hat.“
Im Rückblick auf die Zeit der Reformation machte der Dekan deutlich, dass die Epoche von erheblicher Intoleranz geprägt war. Selbst untereinander seien sich die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin mit unversöhnlichem Absolutheitsanspruch begegnet. „Hier gibt es keine Heldengeschichten zu erzählen, sondern intolerante Haltungen einzugestehen,“ so der Theologe. Bei Luther seien viele andere auf der Strecke blieben, etwa der linke Flügel der Reformation, der jüdische Glaube und die Friedenskirchen. Der heutige Toleranzbegriff sei eher eine Folge der Aufklärung als der Reformation.
In einer Stadt wie Bad Nauheim, in der Menschen aus über 100 Nationen zusammenleben, sei Toleranz ein hohes Gut, betonte Häuser. Gegenseitige Akzeptanz sei ein wichtiges Thema für das gesellschaftliche Leben insgesamt. Selbstredend solle die Akzeptanz auf Gegenseitigkeit beruhen: „Eine einseitige Toleranz ist für mich mit einer Aufgabe der eigenen Wertvorstellungen gleichzusetzen.“ Beim interreligiösen Dialog und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise hätten die Kirchen viel Positives geleistet, sagte Häuser anerkennend.
In diesem Zusammenhang verwies Guth auf das Spannungsverhältnis zwischen Toleranz und Identität und stellte die Frage: „Wieviel Fremdes kann ich ertragen, ohne mich selbst zu verlieren?“ Vielen Menschen gehe das Ausüben von Toleranz zu weit, denn sie sehen dadurch ihre eigene Identität bedroht. Um der Angst der Menschen entgegenzuwirken, brauche die Toleranz einen Boden auf dem sie wachsen könne. Gerade im Dialog mit dem Islam sollten die Kirchen ein selbstbewusster Partner sein. Die eigenen Glaubensüberzeugungen überzeugend vertreten zu können, sei für evangelische Christen heutzutage die eigentliche Herausforderung. Die große Chance des Reformationsjubiläums sei es, Auskunft geben zu können über Inhalte des christlichen Glaubens, sagte Guth.
Mit seiner Predigtreihe im Dialog mit verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Wetterau hat Dekan Volkhard Guth in den vergangenen neun Monaten verschiedene Themenfelder der Reformation neu ins Gespräch gebracht.