Buß- und Bettag
Menschen brauchen die Beichte
Alex Motrenko/istockphoto.comLieber vor Gott beichten als in der Talkshow, findet Peter Zimmerling19.11.2014 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Evangelische Verlagsanstalt LeipzigPeter Zimmerlings Buch „Beichte. Gottes vergessenes Angebot“ ist 2014 in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienen und hat 128 SeitenVon Peter Zimmerling
Die Reformation begann als Beichtstuhlstreit. Sie entzündete sich an Martin Luthers Kritik am mittelalterlichen Beichtverständnis. Danach war die Beichte nur wirksam, wenn man alle Sünden beichtete, genügend Reue zeigte und bereit war, Wiedergutmachung zu leisten. Bedingungen, die schwer zu erfüllen waren. Luther hielt diese Form der Beichte für eine Gängelung des Gewissens, mit dem Evangelium unvereinbar. Daher reformierte er sie.
Luther wollte die Beichte fest etablieren
Beichte konzentrierte Luther auf das Wesentliche: das Bekenntnis der Schuld und die Zusage der Vergebung. Aus einem Zwangsinstrument der Kirche wurde ein befreiendes Angebot Gottes. Luther selbst hielt Zeit seines Lebens an der regelmäßigen Beichtpraxis fest. So wichtig war ihm die Beichte, dass er sie anfangs sogar als drittes Sakrament nach Taufe und Abendmahl verstand. Trotzdem hat sich Luthers Erneuerung unter Evangelischen nicht durchgesetzt. Diese verstanden die Freiheit zur Beichte bald als Freiheit von der Beichte. Mehr und mehr ist die Beichte aus dem Bewusstsein von Protestanten verschwunden.
Therapie als moderner Beichtersatz
Menschen neigen dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Luther hat die Beichte enorm erleichtert. Doch Versagen und Schuld musste man weiterhin bekennen. Die Beichte blieb ein Stachel gegenüber Selbstüberschätzung. Menschen können offensichtlich ohne Ersatz für die Beichte nur schwer leben. Viele Therapien lassen sich als säkulare Beichtformen verstehen. Zeitgenossen meinen, dass die Therapie den Vorteil besitze, sich ohne Angst vor moralischer Verurteilung aussprechen zu können. Überdies kenne sich ein Therapeut mit den Reaktionen der Seele besser aus als ein Theologe.
Nachteil: In der Therapie gibt es keine Vergebung
Die Beichte erfolgt vor dem menschlichen Stellvertreter eines persönlich verstandenen Gottes. Dieser Stellvertreter muss nicht Pfarrerin oder Pfarrer sein. Er oder sie spricht die Vergebung im Namen Gottes zu. In der Beichte kann auch Schuld vergeben werden, die nicht wieder gutzumachen ist. Das ist gegenüber jeder Form von Therapie ein großer Vorteil. Die Beichte ist als Freispruch Gottes, als Befreiung von seelischen Altlasten gültig, unabhängig vom nachfolgenden Tun des Beichtenden. Das war Luthers Anliegen: Beichte und Zuspruch der Vergebung hängen nicht von menschlichen Leistungen ab. Wenn Beichte allerdings nachhaltig wirken soll, bedarf es einer neuen Lebensausrichtung.
Starke Sehnsucht nach Aussprache und Annahme
Mit Individualisierung und Pluralisierung nimmt die Gefahr des Scheiterns zu. Zur Kehrseite größerer Freiheitsräume gehört, dass das Risiko steigt, schuldig zu werden. In der Risikogesellschaft, in der wir uns vorfinden, scheint die Zahl derjenigen zu steigen, die Therapie in Anspruch nehmen. Die Möglichkeit zur Beichte ist noch nicht in das Bewusstsein der meisten Evangelischen zurückgekehrt. Was starken Zulauf hat, sind kirchliche Beratungsangebote. Daran merkt man, dass in einer komplizierter werdenden Gesellschaft der Bedarf an Lebenshilfe und Aussprache größer wird.
Beratung statt Beichte? Die Beichte umfasst unterschiedliche Aspekte. Probleme aussprechen ist nur eine Dimension. Der Sinn der Beichte: Schuld und Versagen vor Gott bekennen in Gegenwart eines menschlichen Zeugen. Auch die stille Bitte um Vergebung im Herzen stellt eine vollgültige Form der Beichte dar. Im Vaterunser heißt es direkt nach der Bitte um das tägliche Brot: „und vergib uns unsere Schuld“. Beichte und Vergebung sind täglich so lebenswichtig wie Brot.
Talkshows ersetzen Beichte
Wie stark die Sehnsucht nach Aussprache und Annahme ist, zeigt sich an den vielen Talkshows. Sie stellen in meinen Augen Lückenbüßer für die Beichte dar. Wenn es zum Menschsein gehört, immer wieder zu versagen und schuldig zu werden, bedarf es Strategien der Entlastung. Besonders wenn die traditionelle Beichte nicht mehr vertraut ist. Talkshows sind reißerisch, vermarkten Schicksale, rücken Menschen oft in ein schlechtes Licht. Talkshow-Beichten dienen der Unterhaltung. Schuldbekenntnisse werden vor Millionen inszeniert. Die Intimsphäre wird nicht geschützt. Überdies lenkt die Beschäftigung mit den Problemen anderer von den eigenen ab.
Es hilft, die eigene Schuld zu bekennen
Der Mensch ist ein Verdrängungskünstler und gut darin, sich zu rechtfertigen, um Schuld nicht eingestehen zu müssen. Schon am Anfang der Bibel findet sich ein klassisches Beispiel dafür: Nach dem Sündenfall stellt Gott Adam zur Rede, wieso er vom Baum der Erkenntnis aß. Adam schiebt es auf Eva, die ihm den Apfel gab. Die beschuldigt die Schlange, von Gott geschaffen, die sie verführte. Letztlich ist Gott selbst schuld. Eine Grundbefindlichkeit des Menschen besteht darin, Entlastungsmechanismen zu suchen, die eigene Verantwortung auf andere abzuwälzen. Die Beichte bietet angesichts dieser Situation die große Chance, zu eigener Schuld zu stehen, sie zu bekennen, von ihr frei zu werden und so wieder den aufrechten Gang zu lernen.
Bisher wird die Einzelbeichte im Raum des Protestantismus nur an wenigen Stellen regelmäßig praktiziert: bei Kirchentagen und in evangelischen Kommunitäten wie Taizé. Die heutige Gesellschaft braucht jedoch die Beichte. Die Sehnsucht nach echter Aussprache, gerade im Schutzraum der Beichte, ist heute sogar stärker als früher, weil die sozialen Netze brüchiger geworden sind.
Wie beichte ich? Fünf Tipps:
- Das Vaterunser beten. Darin kommt vor: „und vergib uns unsere Schuld“.
- Ein Beichtgebet sprechen, zum Beispiel: „Vater im Himmel, du weißt, was mein Gewissen belastet: Es tut mir leid. Verzeih mir und hilf mir, Schaden nach Kräften wieder gutzumachen und mich zu bessern.“ Oder Psalm 51.
- Bei einem anderen Christen, bei Pfarrerin oder Pfarrer beichten. Wie das geht, steht hier.
- In den Gottesdienst gehen. Das Sündenbekenntnis bewusst mitbeten: Gott vergibt. Das gilt auch mir.
- Schreiben Sie auf, was Ihnen auf der Seele liegt. Selbstverständlich vertraulich. Führen Sie ein Beicht-Tagebuch.