Kirchenpräsident besucht Erstaufnahme in Gießen
„Landesregierung muss Flüchtlingen mehr helfen“
EKHNFlüchtlinge Frankfurt in Cantate Domino 201306.12.2013 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
EKHN/OeserKirchenpräsident Volker JungGießen, 6. Dezember 2013. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Volker Jung, hat die Hessische Landesregierung am Freitag zu mehr Engagement bei der Flüchtlingshilfe aufgefordert. Bei seinem Besuch in der Hessischen Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge in Gießen forderte Jung, die Beratungsarbeit künftig auch finanziell mit zu unterstützen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie etwa Nordrhein-Westfalen gibt es in Hessen keinerlei Landesmittel für eine unabhängige Flüchtlingsberatung. Kirche und Diakonie engagieren sich hier ausschließlich auf eigene Kosten. Der Kirchenpräsident bedankte sich ausdrücklich beim Dekanat Gießen und den kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Flüchtlingsarbeit für ihr „hochkompetentes und vorbildliches Engagement“.
Flüchtlingsberatung in Hessen unterstützen
Jung, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, sagte angesichts der zunehmenden Zahl von Flüchtlingen aus Krisengebieten wie beispielsweise Syrien: „Wir können und dürfen nicht wegsehen. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit und Nächstenliebe, sich stärker zu engagieren.“ Ende November hatte die EKHN beschlossen, eine Million Euro in die Flüchtlingsarbeit von Kirche und Diakonie zusätzlich zu investieren. Davon fließen 500.000 Euro in die Flüchtlingsberatung und in die Arbeit von Gemeinden, Dekanaten und evangelischen Einrichtungen, die sich in besonderer Weise für Flüchtlinge einsetzen und für eine neue Willkommenskultur eintreten. Mit weiteren 500.000 Euro sollen Projekte in Krisenregionen gefördert werden wie etwa ein Traumazentrum im nordirakischen Kirkuk oder der Aufbau einer Schule in Syrien.
Mehr syrische Flüchtlinge einreisen lassen
Angesichts der Lage der 2,2 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens bezeichnete der Kirchenpräsident die Entscheidung der Innenminister, noch einmal 5.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, als „erfreulichen aber zu kurzen Schritt“. Dies werde im Vergleich mit der Zahl der Flüchtlinge deutlich, die während des Bosnienkrieges hierzulande Schutz fanden. Damals seien rund 320.000 Menschen in Deutschland aufgenommen worden. Angesichts des größten Flüchtlingsdramas im 21. Jahrhundert sollten deutlich mehr Menschen von Bund und Ländern aufgenommen werden. Dazu müssten aber auch die Kriterien und Verwaltungsabläufe drastisch vereinfacht werden. „Wir brauchen jetzt ein deutliches Zeichen. Mut und Vertrauen sind gefragt“, sagte Jung.
Bundesregierung soll Regelung zu Herkunftsstaaten überdenken
Kritisch sieht Jung das im bisherigen Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung festgeschriebene Vorhaben, Länder wie Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Damit blieben Hilfesuchende aus diesen Ländern zukünftig in Deutschland schutzlos. Gerade vor dem Hintergrund, dass Angehörige von Minderheiten wie der Roma in diesen Ländern nach wie vor in großem Maße beim Zugang zu Arbeit, Gesundheit und Wohnungsmarkt diskriminiert werden, sei dies nicht nachvollziehbar. „Wer sich die Lebensumstände vor Ort ansieht und entsprechende Studien zur Kenntnis nimmt, kann nicht allen Ernstes behaupten, es gäbe keine Gründe, aus den meist schrecklichen Zuständen zu fliehen“, erklärte Jung.
EU-Flüchtlingspolitik muss neu ausgerichtet werden
Schließlich forderte der Kirchenpräsident eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik. Das derzeitige System der Verteilung Asylsuchender in der EU nach der sogenannten Dublin Verordnung sei nicht mehr haltbar. „Es weist den EU-Staaten an den Außengrenzen die Verantwortung für die Asylverfahren zu und überfordert sie damit vielfach“, erklärte Jung. In Ländern wie Griechenland, Italien, Ungarn und Malta würden Flüchtlinge nicht selten zu Obdachlosen gemacht und erlebten menschenunwürdige Behandlungen. „Durch die Überstellung in solche Länder und die erneute Flucht der Betroffenen werden diese oft auf jahrelange Odysseen gezwungen und psychisch zermürbt. Das darf nicht sein“, sagte der Kirchenpräsident.