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    Studie und Zahlen zu Mitgliedern

    Kirchenaustritte nicht als gottgegeben hinnehmen

    EKHN/Peter BongardGottesdeinst beim Jugendkirchentag 2022 der EKHN in GernsheimGottesdienst beim Jugendkirchentag 2022 der EKHN in Gernsheim

    Die katholische Kirche hat Ende Juni ihre aktuellen Mitgliedszahlen veröffentlicht - mit einem dramatischen Anstieg der Austritte 2021. Die evangelische Kirche betreibt derweil weiter Intensiv Ursachenforschung.

    Bildquelle: EKDAnzahl evangelischer Kirchenmitglieder in DeutschlandAnzahl evangelischer Kirchenmitglieder in Deutschland

    Die Deutsche Bischofskonferenz und die 27 (Erz-)Diözesen der katholischen Kirche in Deutschland haben am Montag (27. Juni 2022) ihre jährliche Kirchenstatistik für das vergangene Jahr veröffentlicht. Die evangelischen Kirchen hatten ihre Daten bereits im März herausgegeben. Demnach gehörten Stichtag 31. Dezember 2021 rund 21,6 Millionen Menschen, das sind 26 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland, der katholischen Kirche an.

     

    Katholische Kirchenaustritte wie befürchtet gestiegen 

    Wie erwartet und infolge der Missbrauchs-Aufarbeitung befürchtet: Die Zahl der Kirchenaustritte in den katholischen Bistümern ist in 2021 massiv gestiegen: Fast 360.000 Menschen haben die katholische Kirche im Jahr 2021 verlassen (2020: 221.000; 2019: 273.000). Auch die benachbarten Bistümer der hessen-nassauischen Kirche sind von der Austrittswelle erfasst. Im Bistum Mainz traten im vergangenen Jahr rund 12.600 Menschen aus (2020: 8.461). Im Bistum Limburg verließen rund 11.600 Katholiken die Kirche.

     

    Bischof Bätzing: „Es gibt nichts schönzureden“

    Dass die Zahlen alarmierend sind, sagt auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Limburger Bischof Georg Bätzing. „Es gibt nichts schönzureden und ich bin zutiefst erschüttert über die extrem hohe Zahl von Kirchenaustritten.“ Einen Grund für die hohen Austrittszahlen sieht der Bischof in den vielen Skandalen, die es innerkirchlich gebe und die „in erheblichem Maße“ selbst zu verantworten seien. Es sei zudem festzustellen, dass mittlerweile nicht nur Menschen austreten, die den Kontakt zur Kirche schon über einen längeren Zeitraum verloren hätten, sondern auch die, die bislang in ihr engagiert gewesen seien. Der Aufbruch, den die Katholiken aktuell mit dem soganannten „Synodalen Weg“ gingen, sei bei den Gläubigen offenbar noch nicht angekommen. Zudem gelte, so Bätzing: „Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr für uns als katholische Kirche. Wir müssen uns neu erklären, erläutern was wir tun und warum wir es machen.“

     

    Evangelische Kirche: 19,7 Millionen Mitglieder

    Nach aktuellen Angaben sind gleichzeitig rund 19,7 Millionen Menschen in Deutschland evangelisch.  Die Zahl basiert auf vorläufigen Zahlen aus den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Stichtag 31. Dezember 2021. Das sind rund 2,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Ursachen für den Rückgang waren unter anderem die im Corona-Jahr deutlich erhöhten Sterbefälle (360.000) sowie auch hier die hohe Zahl der 280.000 Kirchenaustritte. Im Corona-Jahr 2020 mit vielen geschlossenen Bürgerämtern waren es  220.000, ein Jahr zuvor 270.000 evangelische Austritte. Die Zahl der evangelischen Taufen hat sich mit 115.000 gegenüber dem ersten Lockdown-Jahr 2020 zwar deutlich erhöht, erreicht bislang aber längst nicht das Niveau von vor der Coronakrise. Die im Jahr 2020 unterbliebenen Taufen konnten bisher nicht nachgeholt werden. Die Aufnahmen blieben mit rund 18.000 ungefähr auf dem Vorjahresniveau. EKD-Statistik 2021 "kurz und bündig" (PDF)

     

    Hessen-Nassau folgt den bundesweiten Trends 

    Diese Trends spiegeln sich auch in den vorläufigen statistischen Zahlen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wider. Einer aktualisierten Hochrechnung zufolge zählte die EKHN zum Stichtag 31. Dezember 2021 rund 1,44 Millionen Mitglieder. Das sind annähernd drei Prozent weniger als im Vorjahr. Hier hat im Pandemie-Jahr auch eine höhere Sterberate mit 24.000 Bestattungen (2020: 19.400) Folgen. Die Zahl der Austritte belief sich ebenfalls auf rund 24.000. Die deutliche Steigerung bei den Kirchenaustritten um fast 6000 gegenüber dem Vorjahr ist auch auf einen Nachholeffekt infolge geschlossener Bürgerämter während der Lockdowns im Jahr 2020 zurückzuführen. Vor der Coronakrise lag die Zahl der Austritte unter 20.000.  Gleichzeitig stiegen 2021 auch die Taufzahlen wieder an. Sie erreichen mit 8600 aber nicht das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie. Zum Vergleich: 2019 gab es noch deutlich über 10.000 Taufen in der EKHN. Auch die Zahl der Kircheneintritte bewegte sich mit 1600 deutlich unter dem Niveau der Jahre vor der Coronakrise (2019: 2800). Hoffnung macht gleichzeitig die vorläufige Zahl der Konfirmationen. Sank sie durch die Pandemie im Jahr 2019 noch auf etwa 8000, könnte es 2021 wieder deutlich über 10.000 neue Konfirmierte gegeben haben. Noch liegt das Zahlenmaterial nicht vollständig vor. Die genauen statistischen Zahlen für das vergangene Jahr - auch für die Regionen - werden voraussichtlich bis August 2022 abschließend erhoben sein.

     

    Hessen-Nassau mit Reformprojekt „ekhn2030“

    Die hessen-nassauische Kirche hat angesichts des gesellschaftlichen Wandels den umfassenden Reformprozess „ekhn2030“ eingeleitet. Ziel ist es, in Zukunft noch erkennbarer mitglieder- und gemeinwesenorientiert zu arbeiten. Derzeit ist dafür unter anderem ein spezielles Projekt in Planung, das es Gemeinden vor Ort noch leichter machen soll, ihre Mitglieder mit den Angeboten zu erreichen, die sie aktuell brauchen. Zudem nimmt „ekhn2030“ die Lebenswelt Jüngerer und junger Erwachsener besonders in den Blick. Als einzige evangelische Landeskirche Deutschlands veranstaltet die EKHN beispielsweise schon jetzt alle zwei Jahre einen speziellen Jugendkirchentag für über 3.500 Teilnehmende.

     

    Entschieden gegensteuern, wo es möglich ist

    Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sagte anlässlich der statistischen Zahlen bereits im Frühjahr, dass sie die „anhaltend hohen Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern“ wolle. Dazu gehöre etwa besondere Taufangebote herauszustellen, um Familien, die während des Lockdowns kein Tauffest feiern konnten, Gelegenheit zu geben, die Taufe nachzuholen. „Bei der Taufe eines Kindes erfahren wir unmittelbar, wie die Kraft des Evangeliums Menschen berührt und stärkt“, so Kurschus. „Der Segen begleitet die Getauften ein Leben lang. Diese Zusage ist gerade in unsicheren Zeiten verheißungsvoll und heilsam zugleich“, so die Ratsvorsitzende.

     

    Ursachenforschung bei der EKD

    Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat im März 2022 eine neue Studie über Ausgetretene veröffentlicht. Demnach ist ein Kirchenaustritt keine spontane Entscheidung, sondern das Ende eines längeren Prozesses. Und der beginnt der Studie zufolge oft schon mit einer fehlenden religiösen Sozialisation in der Familie. Dabei kristallisiere sich in der Folge eine persönlich empfundene Irrelevanz von Religion im täglichen Leben heraus. Hinzu trete durch die mangelnde Relevanz und Bindung an die Institution Kirche dann eine klar kalkulierte „Kosten-Nutzen-Berechnung“. Unter dem Strich stehe dann oft die Entscheidung, sich die Kirchensteuer zu sparen und aus der evangelischen Kirche auszutreten. 

     

    Repräsentative Umfrage bei Ausgetretenen

    Die Untersuchung führte unter anderem das Sozialwissenschaftliche Institut (SI) der EKD bei Menschen repräsentativ durch, die seit 2018 sowohl aus der evangelischen wie auch aus der katholischen Kirche ausgetreten waren. Dabei wurde deutlich, dass nur eine Minderheit der Befragten einen konkreten Anlass zum Kirchenaustritt (24 Prozent vormals Evangelische, 37 Prozent vormals Katholische) hatte. „Es ist davon auszugehen, dass Skandale zur Austrittsspitze 2019 beigetragen haben, insbesondere bei den vormals Katholischen“, so die Soziologin Petra-Angela Ahrens, die die Studie für das SI durchgeführt hat. In erster Linie vollziehe sich der Austritt jedoch als Prozess, der häufig schon mit einer fehlenden religiösen Sozialisation beginne. Bei den weiterreichenden Gründen für den Kirchenaustritt kristallisiere sich eine empfundene „persönliche Irrelevanz“ von Religion und Kirche als wichtiger Faktor heraus, so Ahrens. In diesem Zusammenhang werde gerade bei den vormals Evangelischen auch die mit dem Kirchenaustritt verbundene Ersparnis der Kirchensteuer als Grund angeführt (71 Prozent zustimmende Voten). „Damit bestätigt sich die geläufige Figur einer ,Kosten-Nutzen-Abwägung‘ zur Kirchenmitgliedschaft, die bei fehlender religiös-kirchlicher Bindung einen Austritt wahrscheinlicher macht“, so die Kirchensoziologin. Insbesondere bei den vormals Evangelischen lasse sich der zunehmende Bedeutungsverlust eines religiösen Selbstverständnisses über die Generationenfolge hinweg ablesen.

     

    Link-Tipps 

    EKD-Austrittsstudie (2022): 
    www.ekd.de/studie-kirchenaustritte

    Statistische Zahlen zur EKD: www.ekd.de/statistik

    Katholische Kirchenstatistik 2021: www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/kirchenstatistik-2021

    Statistische Zahlen der EKHN (Jahr 2020 / 2021 folgt im August) 
    www.ekhn.de/ueber-uns/daten-fakten.html


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