Zuhören statt ignorieren
Gießener Student betreibt Hotline für besorgte Bürger
Felix KästnerAli Can gibt seine Erfahrungen in Workshops weiter11.10.2016 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
privatDer Gießener Student Ali Can hört den Menschen zuViele Deutsche fühlen sich recht unsicher, das legen Studien nahe, wie die der R+V Versicherung „Die Ängste der Deutschen 2015“. Danach habe jeder zweite Bundesbürger Angst vor Konflikten durch Zuwanderung und politischen Extremismus. Fast jeder zweite Befragte befürchte, dass das Zusammenleben zwischen den Deutschen und den hier lebenden Ausländern durch einen weiteren Zuzug von Ausländern beeinträchtigt werde. Nur die realen und befürchteten Folgen der Schuldenkrise in Europa machen noch größere Sorgen. Offenbar erkennen viele keine Lösungsansätze, in den letzten Jahren hat die Anzahl derjenigen zugenommen, die Protestparteien gewählt haben. Doch wie lässt sich auf die Mixtur begründeter und unbegründeter Ängste und Ressentiments reagieren?
Der Gießener Student Ali Can hat die Herausforderung angepackt und hat eine Hotline für besorgte Bürger eingerichtet. Sein Geheimnis: Er will die Menschen, die ihn anrufen, nicht belehren, stattdessen begegnet er ihnen mit Wertschätzung und Offenheit, hört ihnen zu und nimmt ihre Sorgen ernst. Mit dieser Strategie, so Ali, erreiche er viel mehr als wenn die besorgten Bürger gleich als Rechtsradikale oder Rassisten abgestemplt werden.
Anrufen und über Sorgen und Ängste sprechen – anonym
Der 22-jährige Ali Can studiert in Gießen Deutsch und Ethik auf Lehramt. Mittlerweile ist er deutschlandweit bekannt, er war beispielsweise Gast im ARD-Morgenmagazin „moma“. Der junge Mann bezeichnet sich selbst als interkulturellen Trainer, gibt Workshops und initiiert verschiedene Aktionen. Vor einigen Wochen hat er ein Projekt gestartet, das für jede Menge positive Resonanz sorgt: Eine Hotline für besorgte Bürger. Die Idee dahinter ist schnell erklärt. "Viele Menschen in Deutschland fühlen sich mit ihren Sorgen nicht ernst genommen, es gibt zu wenige Anlaufstellen, an die sie sich wenden können." Zwar gibt es beispielsweise kirchliche Beratungsstellen, aber eben keine offizielle staatliche Einrichtung, deren Aufgabe es ist, mit den Bürgern auf Augenhöhe über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen, sie ihnen zu nehmen und Aufklärung zu betreiben.
Zuhören statt belehren – das bringt letzten Endes viel mehr, sagt Ali
Mit der Hotline versucht Ali genau das zu tun. Wichtig sei ihm dabei, nicht mit erhobenem Zeigefinger mit den Anrufern zu sprechen. "Wertschätzung hat oberste Priorität für mich – und zwar von beiden Seiten. Ich möchte die Menschen nicht belehren, sondern ihnen erst einmal zuhören. Oft sind ihre Sorgen ja nicht ganz unbegründet. Ich versuche dann, mit bestimmten Strategien die Leute zum Nachdenken anzuregen." Oft klappe das gut – wie etwa das folgende Beispiel zeigt: "Vor Kurzem rief ein AfD-Wähler an. Wir hatten eine Stunde lang ein sehr angenehmes Telefonat, haben diskutiert, mit manchen Vorurteilen gebrochen und bestimmte Ansichten vorsichtig hinterfragt. Am Ende hat er sich herzlich für das Gespräch bedankt." Solche Anrufe zeigten Ali, dass es sich lohne, auf die Menschen zuzugehen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Dabei habe Ali auf viele Fragen selbst keine eindeutigen Antworten, ihm gehe es eher darum, einen Denkprozess anzuregen und den besorgten Bürgern zu signalisieren, dass es jemanden gebe, der ihnen auch zuhört. Statt Antworten gebe er eher Anregungen.
Vorurteilen mit Werten wie Nächstenliebe und Wertschätzung begegnen
Dialogbereitschaft, Offenheit, Wertschätzung und Nächstenliebe – Ali vertritt bei seinem Projekt durchaus christliche Werte, wie er auch selbst sagt: "Ja, es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen der Kirche und mir." Interkultureller und interreligiöser Dialog seien heute wichtiger denn je, ergänzt Joni Makkonen. Der 27-Jährige ist eigentlich Sozialarbeiter in Wetzlar, er kennt Ali seit zwei Jahren. Joni möchte nun beim Ausbau des Hotline-Projektes helfen und auch selbst zum Hörer greifen. Denn er findet es wichtig, zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beizutragen und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Auf die Frage hin, ob er nicht auch Angst vor wütenden Anrufern habe, muss Joni lachen: "Es kann mir ja niemand durch das Telefon eine scheuern."
Ali Can möchte seine Erfahrungen weitergeben und hat bereits Workshops in der EKHN gegeben, wie beispielsweise im Gießener Land.
Infos zur Hotline:
Telefonnr.: 0176 – 522 484 93,
erreichbar: mittwochs von 16 bis 18 Uhr
Infos über Ali Can, sein Team und die Hotline
[Felix Kästner]
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