Aufführung in der Ev. Stadtkirche Groß-Gerau
Bombastisches Wechselbad der Gefühle beim Oratorium „Paulus“
Heidi Förster28.11.2017 hf Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Felix Mendelssohn-Bartholdy hat die berühmte Verwandlung vom Saulus zum Paulus 1833 im Alter von 24 Jahren vertont: Die ergreifende Geschichte erzählt von „Saul“, so der hebräische Name von Paulus, einem gesetzestreuen Juden, der die ersten Christen fanatisch verfolgt, bis er auf dem Weg nach Damaskus in einer visionären Lichterscheinung Jesus begegnet, sich taufen lässt, den christlichen Namen Paulus annimmt und zum wichtigsten Missionar des Christentums wird. „Durch das, was in Damaskus passiert ist, wurde er ein glühender Anhänger Jesu“, so Dekanin Birgit Schlegel: „Paulus soll stundenlang gepredigt haben, während alle an seinen Lippen hingen, denn seine Gedanken waren voller Sprengstoff“.
Beeindruckende Klangschärfe
„Und sie steinigten ihn“ lautet einer der Choräle des Oratoriums, der die grausame Steinigung des ersten christlichen Märtyrers Stephanus besingt. Saulus schaut der Hinrichtung mit Wohlgefallen zu. In der zweieinhalb-stündigen Aufführung erklangen Arien, Choräle und Rezitative im Wechsel. Dabei gab der gefragte Tenor Daniel Sans seinen Rezitativen eine überzeugend warme Klangschärfe. Sans: „Ich bringe die Handlung voran und erzähle die Geschichte und die Chöre und Solisten füllen das Ganze mit Emotionen.“
Warmer Klangteppich
Wie ein wunderschöner warmer Klangteppich erfüllte der gemeinsame Chor von Sängerinnen und Sängern der Ev. Kantorei Groß-Gerau/Dornheim, der Dekanatskantorei Rüsselsheim, dem Ev. Kirchenchor Hochheim und dem Ev. Kirchenchor Mörfelden-Walldorf die Groß-Gerauer Stadtkirche. Mit ihren Kirchenmusikern Wiebke Friedrich (Groß-Gerau), Stefan Küchler (Mörfelden) und Jens Lindemann (Rüsselsheim und Hochheim) wurde „Paulus“ neun Monate lang zunächst getrennt voneinander einstudiert und dann an einem Probenwochenende und in drei gemeinsamen Proben zur Konzertreife gebracht. Eine echte Herausforderung, aus vier musikalischen Teilen ein stimmiges Ganzes hervorzubringen. Und das ist den drei Dekanatskirchenmusikern,die das Konzert nahtlos im Wechsel dirigierten, hervorragend gelungen.
Vom Saulus zum Paulus
Der deutschlandweit erfahrene Konzerttenor Daniel Sans bringt es auf den Punkt: „Es ist erstaunlich, wie harmonisch die große Gruppe zusammen musiziert, egal ob im Pianissimo oder im dramatischen Forte. Ein Klangkörper, der präzise und intensiv die Musik von Mendelssohn wiedergibt und erlebbar macht.“
Die spannungsreiche Verwandlung von Saulus zum Paulus ist in der vielfältigen Musik von „Paulus“ hörbar. Der Chor hatte eine enorme Bandbreite zu bewältigen: von weicher Stimmmelodik wie in „Siehe! Wir preisen selig, die erduldet haben“ bis hin zu anspruchsvoll ausgearbeiteten, kraftvollen Chorälen wie in „Herr, der du bist der Gott“. Dieser „Chor des Volkes“ konfrontiert die Hörer mit den Problemen der jungen Christengemeinde. Der neue Christus-Glaube wird bedroht und der Ruf nach Gottes Hilfe wird laut. Gleichzeitig wird auch das Generalthema des Oratoriums aufgezeigt: Gott lässt sein Volk nicht alleine, er sendet Helfer zur Unterstützung der Gemeinde.
Bereichernd und brillant
Auch die Arie „Gott sei mir gnädig nach deiner Güte“ sang Christoph Kögel, Bass, über große Intervalle hinweg ausdrucksvoll, klar und unangestrengt. Bereichernd und brillant überzeugte auch die Sopranistin Gabriele Hierdeis die 300 Zuhörer in der voll besetzten Groß-Gerauer Stadtkirche.
„Es war sehr ergreifend, sodass mir fast die Stimme weggeblieben ist, ein erhebendes Gefühl“, schwärmte der Hochheimer Chorsänger Wilhelm Großebüter nach dieser überwältigenden Aufführung. Auch Holger Tampe von der Groß-Gerauer Dekanatskantorei und Vorsitzender des Dekanatssynodalvorstandes empfand es „toll, Teil dieses riesig klingenden Körpers zu sein. Das Gefühl, mittendrin zu sein, ist bombastisch.“
Nicht nur die Sängerinnen und Sänger fühlten sich in diesem Konzert aufgehoben und getragen, auch auf manchen Zuhörer wirkte das harmonische Ganze wie einer beruhigende Zuversicht – für die Paulus folgende Worte fand: „Ich bin und bleibe ein geliebtes Kind Gottes – allein durch Glaube“. Paulus verkündigte die Rechtfertigung des Menschen allein aus Glauben.
Reformatorischer Durchbruch
Hätte es damals schon Handys und soziale Netzwerke gegeben, hätte dieser Glaubenssatz bereits Millionen von „followern“ begeistert. So brauchte es 1500 Jahre, bis Martin Luther diesem kampagnenfähigen Leitsatz des Protestantismus seinen reformatorischen Durchbruch verdankte. Aus Saulus wurde Paulus, aus dem Büttel der römischen Herrschaft wurde ein freier Christ. Wie kein Zweiter steht Paulus für die ganze Bandbreite menschlicher Existenz: für Schuld und Sühne, für Gnade und Erlösung, für Bekehrung und Zuversicht.
Die Aufführung des Oratoriums „Paulus“ am Samstag, den 26. November in der katholischen St. Peter und Paul Kirche in Hochheim sowie am Sonntag, den 27. November 2017 in der Ev. Stadtkirche Groß-Gerau bot den Höhepunkt von mehr als 100 Veranstaltungen des Ev. Dekanats Groß-Gerau-Rüsselsheim im Reformationsjahr. Das hätte auch den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy gefreut, der in seinem Schlusschor das Fazit zog: „dass nicht nur Paulus die Gerechtigkeit Gottes durch seine Standhaftigkeit erfährt, sondern alle, die seine Erscheinung lieben“.
Heidi Förster, Öffentlichkeitsarbeit