Luther und Europa
Reformation ist geistlicher Aufbruch in den Alltag - Vortrag von Dr. Volkmar Ortmann
shg10.10.2017 shgo Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
shgDr. Volkmar Ortmann ist Dozent für Kirchen- und Theologiegeschichte an den Universitäten Gießen und Bielefeld und hielt seinen Vortrag im Rahmen der Ausstellung „Luther und Europa“, einer Wanderausstellung, die vom hessischen Staatsarchiv Marburg in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium und dem Evangelischen Bund Hessen in Bensheim konzipiert wurde. Wenn von Reformation die Rede ist, kommen zumeist prominente Reformatoren, allen voran Martin Luther, in den Fokus, stellte Ortmann fest. An der Lebensgeschichte dieser historischen Personen werde dann veranschaulicht, was aus historischer oder kirchengeschichtlicher Perspektive über das Ereignis Reformation gesagt werden könne. Er wolle in seinem Vortrag jedoch den Blick darauf richten, welchen Bereichen des Alltagslebens sich ebenfalls charakteristische Veränderungen vollzogen haben.
Änderungen in Gottesdienst, Schule, Ehe
Signifikant seien die Veränderungen im Gottesdienst. In Liturgie und vor allem der Predigt fand die Volkssprache Anwendung. Folgen waren auch das Priestertum aller Glaubenden, der Verzicht auf liturgische Gewänder, der Gemeindegesang, das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Taufe und Abendmahl als einzige Sakramente, die Verringerung der Feiertage (Heiligenfeste), die Abschaffung der Wallfahrten, der Heiligenfiguren und vieler Rituale. Auch in der Armenfürsorge gab es Veränderungen. Die Ablehnung von guten Werken als persönlichen Beitrag zum ewigen Heil, ließ das bestehende System der Sozialversorgung zusammenbrechen, berichtete Ortmann. Die Lösung des Problems war der sogenannte „gemeine Kasten“ eine Art Sozialkasse, deren Grundstock die kirchlichen Vermögenswerte waren und aus dem alle kirchlichen Ausgaben, schließlich auch die Sozialfürsorge, gezahlt wurden. Auch die Schule unterlag durch die Reformation einer starken Veränderung. Bildung sollte gemeinnützig sein, hatte Luther gefordert, und somit ein allgemeines Anliegen und eine öffentliche Aufgabe. Christliche Schulen für alle Jungen und Mädchen war das Ziel. Nicht zuletzt war die Ehe reformatorischen Veränderungen unterworfen. In der römischen Kirche bestand und besteht der Anspruch, dass sich in der Ehelosigkeit des Priesters dessen besonderer geistlicher Stand dokumentiert. Luther hingegen kam zu dem Schluss, dass der ehelose Stand von Mönchen und Nonnen geradezu „unselig“ sei, sagte Ortmann. Daher war es auch ein Bekenntnis zum neuen reformatorischen Glauben, wenn Priester heirateten.
Aufbruch in die Moderne
Indem die Reformation die Trennung von Klerikern und Laien, heilig und profan, geistlich und weltlich aufhob, nahm sie Abschied davon, den Alltag aus einer kirchlichen Perspektive zu dominieren. Vielmehr war ihr daran gelegen, den Alltag christlich-theologisch zu durchdringen. Insgesamt fiel das Auftreten Luthers und die von ihm angestoßene Reformation der Kirche in eine Zeit des Um- und Aufbruchs. Dies ging weit über den religiösen Bereich hinaus und erfasste alle Städte und Länder Europas: Wirtschaft, Recht, Kunst, Politik und auch die Religion. Sie waren auf dem Weg zu dem, was wir heute die „westliche Moderne“ nennen, fasste Dr. Ortmann zusammen. Im Anschluss nutzten die interessierten Besucher die Gelegenheit Rückfragen an Dr. Ortmann zu stellen und die Ausstellung „Luther und Europa“ im Ratsaalgebäude anzuschauen.