Volker Jung zum Jubiläum
500 Jahre Reformation: „Von der befreienden Kraft reden und leben“
EKHN/RahnKirchenpräsident Volker Jung im Interview 201730.10.2017 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
EKHNGott neu entdecken: So wirbt die hessen-nassauische Kirche für das Reformationsjubiläum 2017Darmstadt, 24. Oktober 2017. Im Vorfeld des 500. Jahrestags des Thesenanschlags von Martin Luther am 31. Oktober 1517, der als Beginn der Reformation gilt, hat sich der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung mit einem Wort zum Jubiläum an die Öffentlichkeit gewandt. In seinem Beitrag vom Dienstag (24. Oktober 2017) beschreibt der Kirchenpräsident Luthers reformatorische Entdeckung als befreiende und stärkende Kraft, die bis heute Auswirkungen habe. So müsse sich die Kirche beispielsweise in einer Gesellschaft, die sich immer stärker auseinander bewegt, „auch für die einsetzen, die an den Rand gedrängt werden“. Zugleich sei es wichtig, in Zeiten, in denen Menschen „manchmal voller Hass“ aufeinanderträfen, einen barmherzigen, respektvollen und freundliche Umgang entgegenzusetzen.
Jung erinnert auch an die Schattenseiten der Reformation wie etwa die judenfeindlichen Spätschriften Luthers oder die Religionskriege. Er sei deshalb besonders dankbar, dass das 500. Jubiläumsjahr der Reformation „in bisher nicht gekannter ökumenischer Offenheit und Zuwendung“ begangen werde. Dahinter stehe auch die Einsicht, dass Christinnen und Christen „gemeinsam in dieser Welt gefordert sind“. Dazu gehöre es, „die Kraft des Evangeliums für Frieden, Gerechtigkeit und für einen sorgsamen Umgang mit dieser so großartigen Schöpfung zu bezeugen und zu leben“.
Wortlaut
Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu 500 Jahren Reformation
„Am 31. Oktober 1517 hat Martin Luther seine berühmten 95 Thesen veröffentlicht. Sie zeigen, dass er für sich Gott neu entdeckt hat. Luther war in einer Frömmigkeit aufgewachsen, die Gott vor allem als richtenden und strafenden Gott gesehen hat. Im intensiven Studium der Bibel erkannte der Reformator: Gott ist voller Liebe. Und Gott will mit seiner Liebe Menschen stark machen. Wir müssen nicht in Angst vor Gott leben, sondern wir können im Vertrauen auf Gottes Liebe und Gnade leben. Das war für Luther und viele andere eine große Befreiung. Von der befreienden und stark machenden Kraft des Evangeliums sollen Menschen reden und leben. Deshalb hat er mit vielen Frauen und Männern der Reformation Reformen gefordert – in Kirche und Gesellschaft.
Heute blicken wir auf ein halbes Jahrtausend Geschichte zurück, die auch ihre Schattenseiten hatte. Dazu gehören Luthers harte Worte gegen die aufständischen Bauern und gegen die sogenannten Täufer. Und seine furchtbaren Äußerungen und Schriften vor allem gegen die Juden und auch gegen die „Türken“, wie die Muslime damals genannt wurden. Zu der Schattenseite gehören auch erbarmungslos geführte Kriege im Namen des christlichen Glaubens. Und dazu gehört die leidvolle Trennung der evangelischen von der katholischen Kirche, die bis heute schmerzt.
Es ist gut, dass das 500. Reformationsjubiläum all das nicht ausgeblendet hat. Es ging darum, die Reformation in ihrer Vielfalt wahrzunehmen, sich kritisch auseinanderzusetzen und dabei erneut freizulegen, was Kirche und Gesellschaft positiv geprägt hat: das Evangelium von der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt und die damit unauflöslich verbundene Bedeutung jedes einzelnen Menschen vor Gott. Jeder Mensch ist von Gott beschenkt, begabt und bestimmt zu einem Leben in Freiheit und Verantwortung.
Ich bin besonders dankbar, dass wir 2017 in bisher nicht gekannter ökumenischer Offenheit und Zuwendung 500 Jahre Reformation bedenken. An vielen Orten feiern evangelische und katholische Christinnen und Christen gemeinsam, in Gottesdiensten haben wir einander Vergebung zugesprochen. Das macht Hoffnung auf mehr. Wir erkennen deutlich, wie sehr wir gemeinsam in dieser Welt gefordert sind. Wir sind gemeinsam gefordert, die Kraft des Evangeliums für Frieden, Gerechtigkeit und für einen sorgsamen Umgang mit dieser so großartigen Schöpfung zu bezeugen und zu leben. Gerade deshalb freue mich sehr auf den Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt.
Die ökumenische Perspektive des Jubiläumsjahres hat sich nicht nur auf das Verhältnis der evangelischen zur katholischen Kirche beschränkt – es ging immer wieder um die Gemeinschaft aller Christinnen und Christen. Es war deshalb auch gut, dass das Jubiläum nicht national, sondern international gefeiert wurde. In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben wir uns sehr gefreut, wie in unseren Partnerkirchen weltweit Reformation gefeiert wurde. Wir glauben daran, dass wir durch die Taufe im Glauben an Jesus Christus weltweit zu einem Leib verbunden sind. Das ist für Christinnen und Christen in allen Konfessionen und Kirchen eine wichtige Perspektive angesichts der vielen Fragen der Gegenwart, die nur in weltweiter Solidarität zu lösen sind.
Bald ist das Jubiläumsjahr beendet, nicht aber die Herausforderung, immer wieder neu nach Gott zu fragen und aus der Kraft des Evangeliums zu leben. Ich bin überzeugt: In einer Gesellschaft, die sich immer stärker auseinander zu bewegen scheint, braucht es Menschen, denen der Zusammenhalt am Herzen liegt und die sich auch für die einsetzen, die an den Rand gedrängt werden und hilflos sind. In Zeiten, in denen Menschen immer unbarmherziger, manchmal sogar voller Hass, miteinander umgehen, braucht es Menschen, die barmherzig, respektvoll und freundlich sind. In einer Zeit, in der sich neue technisch-digitale Welten auftun, braucht es Menschen, die mit Augenmaß und Vernunft, dafür einstehen, dass Menschen vor allem von menschlicher Nähe, Zuwendung und Liebe leben.
Gott immer wieder neu zu entdecken, aus dem Glauben zu leben und Hoffnung und Liebe in die Welt zu tragen – das bleibt auch nach 500 Jahren die Aufgabe. Deshalb steht hinter dem 31. Oktober 2017 kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt: Die Reformation geht weiter.“
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